Die klassischen Studien und der Sozialismus

BÜRGER, REPRÄSENTANTEN,

Ich habe der Versammlung einen Antrag unterbreitet, welcher die Abschaffung der Universitätsabschlüsse anstrebt. Mein Gesundheitszustand gestattet mir nicht, ihn auf der Tribüne zu entwickeln. Erlaubt mir, meine Zuflucht zur Feder zu nehmen.

Die Frage ist außerordentlich ernst. Wie mangelhaft auch das von Eurer Kommission ausgearbeitete Gesetz sein mag, so glaube ich doch, dass es einen für den gegenwärtigen Zustand des öffentlichen Unterrichts wichtigen Fortschritt herbeiführen würde, wenn es so verbessert wird, wie ich vorschlage.

Die Universitätsabschlüsse haben den dreifachen Nachteil, den Unterricht einförmig (die Einförmigkeit ist nicht die Einheit) und starr zu machen, nachdem sie ihm die verderblichste Richtung gegeben haben.

Wenn es irgend etwas in der Welt gibt, was von Natur aus progressiv ist, so ist es der Unterricht. Werden durch ihn nicht die von der Gesellschaft erworbenen Kenntnisse von Generation zu Generation weitergegeben, also ein Schatz, der sich von Tag zu Tag läutert und vermehrt?

Wie ist es gekommen, das in Frankreich der Unterricht vom finsteren Mittelalter an einförmig und statisch geblieben ist? Weil er monopolisiert und in einen unüberschreitbaren Zirkel gebannt war.

Es gab eine Zeit, wo es, um irgendwelche Kenntnisse zu erlangen, ebenso notwendig war, latein und griechisch zu lernen, wie es für die Basken und Nieder-Bretagner unerläßlich ist, französisch zu lernen. Die lebenden Sprachen waren nicht verschriftlicht. Die Buchdruckerkunst war nicht erfunden, der menschliche Geist hatte sich nicht angelegen sein lassen, in die Geheimnisse der Natur einzudringen. Unterrichtet sein hieß wissen, was Epikur und Aristoteles gedacht hatten. In den höheren Ständen rühmte man sich damit, nicht lesen zu können. Eine einzige Klasse beherrschte den Unterricht und erteilte ihn, nämlich die Geistlichen. Was konnte damals dieser Unterricht sein? Offenbar musste er sich auf die Kenntnis der toten Sprachen, namentlich Latein beschränken. Es gab nur lateinische Bücher; man schrieb nur Latein; Latein war die Sprache der Religion; die Geistlichen konnten nur lehren, was sie gelernt hatten: Latein.

Verständlicherweise war also im Mittelalter der Unterricht auf das Studium der alten Sprachen, die sehr unpassend gelehrte Sprache hießen, beschränkt.

Ist es natürlich, ist es gut, das es im neunzehnten Jahrhundert ebenso ist? Ist Latein ein notwendiges Instrument, um Kenntnisse zu erwerben? Kann man aus den Schriften, welche uns die Römer hinterlassen haben, Religion, Physik, Chemie, Astronomie, Physiologie, Geschichte, Recht, Moral, wirtschaftliche Technologie oder Gesellschaftswissenschaft lernen?

Eine Sprache können, ebenso wie lesen können, heisst ein Instrument besitzen. Ist es nicht sonderbar, das wir unsere ganze Jugend damit hinbringen, uns zu Meistern eines Instruments zu machen, was zu gar nichts — oder nur zu wenigem taugt, da man doch, wenn man anfängt es zu beherrschen, nichts Dringenderes kennt, als es zu vergessen? — Ach! warum kann man nicht ebenso schnell die Eindrücke vergessen, die dies verderbliche Studium hinterlässt!

Was würden wir sagen, wenn man zu Saint-Cyr die Jugend , um sie für die moderne Militärkunde vorzubereiten, ausschließlich lehrte, Steine mit der Schleuder zu werfen?

Das Gesetz unseres Landes bestimmt, dass die ehrenvollsten Karrieren allen denen verschlossen sein sollen, die nicht Bacheliers sind. Es bestimmt außerdem, dass man, um Bachelier zu werden, seinen Kopf so mit Latein vollgepfropft haben muss, dass nichts anderes hineingeht. Was geschieht dann, wie alle Welt zugibt? Die jungen Leute haben das genaue, absolut notwendige Minimum, um den Grad zu erlagen, austariert und begnügen sich damit. Ihr klagt hierüber, Ihr seufzt. Ach! begreift Ihr nicht, dass es die Stimme des gesunden Menschenverstandes ist, der sich nicht eine nutzlose Anstrengung aufbürden lassen will?

Ein Instrument lehren, welches, sobald man es kann, keinen Ton mehr gibt, das ist eine wunderliche Anomalie! die Erklärung liegt in dem einzigen Worte: MONOPOL. Das Monopol hat die Eigenschaft, dass es alles, was es berührt, zum Erstarren bringt.

Eben darum hätte ich gewünscht, das die gesetzgebende Versammlung die Freiheit verwirklichte, das heisst den Fortschritt des Unterrichts. Es ist jetzt entschieden, dass es nicht sein soll. Wir werden die Freiheit nicht vollständig haben. Lassen Sie mich zumindest versuchen, einen Fetzen davon zu retten.

Die Freiheit kann vom Gesichtspunkt der Personen und bezüglich der Materien betrachtet werden —  ratione personae et ratione materiae, wie die Rechtsgelehrten sagen; denn die Konkurrenz der Methoden zu unterdrücken ist kein geringerer Angriff auf die Freiheit als die Konkurrenz der Menschen zu unterdrücken.

Es gibt Leute, die sagen: „Die Lehre wird frei sein, denn jeder wird darein eintreten können. “ Dies ist eine große Täuschung.

Der Staat, oder um es richtiger zu sagen, die Partei, die Faktion, die Sekte, der Mann, welcher sich für einen Augenblick und selbst in sehr gesetzlicher Weise des Regierungs-Einflusses bemächtigt, kann dem Unterricht die Richtung geben, welche ihm gefällt und nach seinem Belieben durch den blossen Mechanismus der Abschlüsse alle Intelligenzen formen.

Gebt einem Menschen die Verleihung der Abschlüsse und, wenn er Euch auch ganz frei unterrichten läßt, so wird das Unterrichten doch faktisch unter seiner Herrschaft stehen.

Ich, als Familienvater, und der Lehrer, mit dem ich mich über die Erziehung meines Sohns verständige, wir können glauben, dass die wahre Bildung darin besteht, zu wissen, was die Dinge sind und wie sie entstehen, sowohl im physischen als auch im moralischen Sinne. Wir mögen denken, dass der am besten unterrichtet ist, welcher sich die richtige Vorstellung von den Erscheinungen verschafft und die Verkettung der Ursachen und Wirkungen kennt. Wir möchten diese Annahme dem Unterricht zum Grunde legen. — Aber der Staat hat eine andere Vorstellung. Er denkt, gebildet sein bestünde darin, die Verse des Plautus skandieren und über das Feuer und die Luft die Meinungen von Thales und Phythagoras anführen zu können.

Was tut nun der Staat? Er sagt uns: Lehrt Euren Schüler, was Ihr wollt; aber wenn er zwanzig Jahr alt ist, werde ich ihn über die Meinung von Phythagoras und Thales befragen lassen; ich werde ihn die Verse von Plautus skandieren lassen und wenn er in diesen Materien nicht gut genug ist, um mir zu beweisen, dass er seine ganze Jugend darauf verwendet hat, so wird er weder Arzt, noch Advokat, noch Richter, noch Konsul, noch Diplomat, noch Professor werden können.

Danach bin ich wohl gezwungen, mich zu fügen, denn ich werde nicht die Veranwortung übernehmen, meinem Sohn so viele schöne Karrieren zu verschließen. Ihr werdet mir umsonst sagen, das ich frei bin; ich versichere, dass ich es nicht bin, weil Ihr mich zwingt, aus meinem Sohn, wenigstens in meinen Augen, einen Pedanten — vielleicht einen abscheulichen kleinen Rhetor — und sicherlich einen wilden Aufwiegler zu machen.

Wenn noch die für das Baccalaureat verlangten Kenntnisse irgendeinen Bezug zu den Bedürfnissen und Interessen unserer Zeit hätten! wenn sie wenigstens nur unnütz wären! aber sie sind in beklagenswerter Weise verderblich. Dem menschlichen Geist eine falsche Richtung zu geben, das ist die Aufgabe, welche die Körperschaften, denen das Monopol des Unterrichts überliefert worden ist, sich gestellt zu haben scheinen und wofür sie sich entscheiden haben. Dies will ich nun zu beweisen suchen.

Seit Anfang dieses Streits bombardieren die Universität und der Klerus sich gegenseitig mit Vorwürfen. Ihr verderbt die Jugend mit Eurem philosophischen Rationalismus, sagt der Klerus; Ihr verdummt sie mit Eurem religiösen Dogmatismus, sagt die Universität.

Dann kommen die Vermittler und sagen: Die Religion und die Philosophie sind Schwestern. Verschmelzen wir die freie Forschung und die Autorität. Universität, Klerus, Ihr habt abwechselnd das Monopol gehabt; teilt Euch darein und damit abgemacht.

Wir hörten, wie der ehrwürdige Bischof von Langres so gegen die Universität ausfiel: „Ihr habt uns die sozialistische Generation von 1848 geschaffen“

Und der Herr Cremieux beeilte sich den Ausfall mit den Worten zurückzugeben:  „Ihr habt die revolutionäre Generation von 1793 erzogen.“

Wenn Wahres in diesen Behauptungen liegt, was muss man daraus schließen? Dass die beiden Unterrichte verderblich gewesen sind, nicht durch das, was sie unterscheidet, sondern durch das, was ihnen gemeinsam ist.

Ja, es ist meine Überzeugung: es gibt zwischen diesen beiden Lehren einen gemeinsamen Punkt, nämlich den Missbrauch der klassischen Studien, und dadurch haben alle beide das Urteil und die Moral des Landes verdorben. Darin unterscheiden sie sich, dass der eine das religiöse Element, der andere das philosophische Element überwiegen lässt; aber diese Elemente, statt dass sie das Übel hervorgebracht haben, wie man sich vorwirft, haben es gemildert. Ihnen haben wir zu danken, dass wir nicht ebenso Barbaren sind, wie die Barbaren, die uns durch den Latinismus fortwährend zur Nachahmung empfohlen wurden.

Man gestatte mir eine Annahme, die zwar etwas gezwungen ist, aber meinen Gedanken verständlich machen wird.

Ich nehme also an, dass es irgendwo, bei den Antipoden, eine Nation gibt, welche die Arbeit hasst und verachtet und alle ihre Existenzmittel auf die fortwährende Beraubung aller benachbarten Völker und auf die Sklaverei gründet. Diese Nation hat sich eine Politik, eine Moral, eine Religion und eine öffentliche Meinung geschaffen, die mit dem brutalen Prinzip, durch welches sie sich erhält und entwickelt, im Einklang sind. Nachdem Frankreich dem Klerus das Monopol der Erziehung erteilt  hat, weiß dieser nichts Besseres zu tun, als die ganze französische Jugend zu diesem Volk zu schicken, um nach seiner Lebensweise zu leben, um sich seine Gesinnungen anzueignen, um sich an seinen Kulten zu begeistern und um seine Ideen wie die Luft einzuatmen. Er trägt nur Sorge, dass jeder Schüler bei seinem Abgange mit einem kleinen Buch ausgestattet wird, welches heißt: das Evangelium. Die in dieser Weise erzogenen Generationen kehren auf den Boden des Vaterlandes zurück; es bricht eine Revolution aus: ich gebe zu bedenken, welche Rolle sie dabei spielen.

In Anbetracht dessen entzieht der Staat dem Klerus das Monopol des Unterrichts und übergibt es der Universität. Auch die Universität schickt die Jugend wie es Tradition ist zu den Antipoden, zu dem räuberischen und sklavenbesitzenden Volk und gibt ihr auch ein kleines Buch mit, mit dem Titel: Philosophie. Fünf oder sechs auf diese Weise erzogenen Generationen haben kaum das Vaterland wiedergesehen, als eine zweite Revolution ausbricht. In derselben Schule gebildet wie ihre Vorgänger, zeigen sie sich als würdige Nachfolger.

Darauf gibt es Krieg zwischen den Monopolisten. Euer kleines Buch ist es, was alles Übel herbeigeführt hat, sagt der Klerus. Das Eurige ist es, entgegnet die Universität.

Ach nein, Ihr Herren, Eure kleinen Bücher kommen bei diesem allem nicht in Betracht. Was das Übel herbeigeführt hat, ist die wunderliche Idee, die Ihr beide ausgeheckt und ausgeführt habt, die für die Arbeit, für den Frieden, für die Freiheit bestimmte französische Jugend fortzuschicken, um sich mit den Gesinnungen und den Ansichten eines Volks von Räubern und Sklaven zu erfüllen, sie in sich aufzunehmen und sich damit zu übersättigen.

Das behaupte ich: Die subversiven Doktrinen, denen man den Namen Sozialismus oder Kommunismus gegeben hat, sind die Frucht der klassischen Studien, mögen sie vom Klerus oder von der Universität präsentiert werden. Ich füge hinzu, dass das Baccalaureat den klassischen Unterricht sogar den vermeintlich freien Schulen aufzwingen wird, die, wie man sagt, aus dem Gesetz hervorgehen müssen. Eben deshalb beantrage ich die Abschaffung der Abschlüsse.

Man rühmt vielfach das Lateinstudium als ein Mittel, um den Geist zu entwickeln; das ist reiner Konventionalismus. Den Griechen, welche nicht Latein lernten, fehlte es nicht an Geist und er scheint auch den französischen Frauen nicht zu fehlen, ebenso so wenig wie der gesunde Menschenverstand. Es wäre auch sonderbar, wenn der menschliche Geist nur an Stärke gewinnen könnte, indem er eine falsche Richtung nimmt; und begreift man nicht, dass der sehr zweifelhafte Vorteil, den man postuliert, wenn er vorhanden ist, sehr teuer erkauft wird durch das schreckliche Übel, in das Herz Frankreichs mit der Sprache der Römer ihre Ideen, ihre Gesinnungen, ihre Ansichten und die Karikatur ihrer Sitten eindringen zu lassen?

Seitdem Gott über die Menschen Ausspruch getan hat: Ihr werden Euer Brot im Schweiße Eures Angesichts essen, ist die Existenzsicherung für sie eine so wichtige, so drängende Angelegenheit, dass je nach den Mitteln, die sie zu diesem Zweck ergreifen, ihre Sitten, Gewohnheiten, Ansichten, ihre Moral und ihre sozialen Einrichtungen sehr verschieden sein müssen.

Ein Jägervolk kann nicht einem Fischervolk ähnlich sehen, noch eine Hirtennation einer Seefahrernation.

Aber diese Verschiedenheiten sind jedoch nichts im Vergleich zu dem Unterschied, der zwei Völker charakterisieren muss, von denen das eine von Arbeit lebt und das andere vom Diebstahl.

Denn zwischen Jägern, Fischern, Hirten, Ackerbauern, Handeltreibenden, Fabrikanten besteht das Gemeinsame, dass alle ihre Bedürfnisbefriedigung aus der Beherrschung von Dingen erlangen. Was sie ihrer Herrschaft unterwerfen wollen, ist die Natur.

Die Menschen aber, welche ihre Existenzmittel auf Plünderung gründen, üben ihre Wirksamkeit auf andere Menschen aus; das, worüber zu herrschen sie eifrig streben, sind ihres Gleichen.

Dass Menschen existieren, ist es notwendig, dass die Einwirkung auf die Natur, welche man Arbeit nennt, erfolgt.

Es kann sein, dass die Früchte dieser Einwirkung der Nation, welche sich ihr widmet, Vorteil bringen; es ist auch möglich, dass sie im zweiten Schritt, durch Gewalt, zu einem anderen Volk, das über das Arbeitsvolk gestellt ist, gelangen.

Ich kann hier nicht diesen ganzen Gedanken entwickeln; aber man möge recht darüber nachdenken und man wird sich überzeugen, dass zwischen zwei Menschenansammlungen, die sich in so entgegengesetzten Stellungen befinden, alles verschieden sein muss: Sitten, Gewohnheiten, Urteile, Organisation, Moral, Religion und zwar derartig, dass selbst die Worte zur Bezeichnung der allerwesentlichsten Beziehungen, wie die Worte Familie, Eigentum, Freiheit, Tugend, Gesellschaft, Regierung, Republik, Volk nicht dieselben Ideen bei der einen und bei der andern hervorrufen können.

Ein Kriegervolk sieht bald, dass Familie die militärische Hingabe schwächen kann (wir fühlen das selbst, da wir sie unseren Soldaten versagen). Aber die Bevölkerung darf nicht schrumpfen. Wie diese Aufgabe lösen? Wie es Plato in Theorie und Lykurg in Praxis taten: durch Promiskuität. Dennoch sind Plato und Lykurg Namen, die man uns gewöhnt, nur mit Ehrfurcht auszusprechen.

Für das, was Eigentum darstellt, möchte ich bestreiten, das man im ganzen Altertum eine leidliche Definition findet. Wir unsererseits sagen: der Mensch ist Eigentümer seiner selbst, folglich seiner Fähigkeiten und demgemäß des Produkts seiner Fähigkeiten. Konnten aber die Römer einen solchen Begriff fassen? Konnten sie, als Besitzer von Sklaven, sagen: der Mensch gehört sich? Die Arbeit verachtend, konnten sie sagen: der Mensch ist Eigentümer des Produkts seiner Fähigkeiten? Das hieße, den kollektiven Selbstmord zu institutionalisieren.

Worauf ließ also das Altertum das Eigentum begründet sein? Auf dem Gesetz — eine verderbliche Vorstellung, die verderblichste, die jemals in die Welt gekommen sein mag, da sie den Gebrauch und den Missbrauch von allem rechtfertigt, was dem Gesetz beliebt, als Eigentum zu erklären, selbst Früchte des Diebstahls, selbst den Menschen.

In diesen Zeiten der Barbarei konnte die Freiheit nicht besser begriffen werden. Was ist die Freiheit? Es ist die Gesamtheit der Freiheiten. Frei sein, unter seiner Verantwortlichkeit, zu denken und zu handeln, zu sprechen und zu schreiben, zu arbeiten und zu tauschen, zu lehren und zu lernen, das allein ist frei sein. Kann so eine Nation, die mit Hinblick auf eine Schlacht ohne Ende in der Zucht gehalten ist, die Freiheit begreifen? Nein, die Römer missbrauchten dies Wort für eine gewisse Kühnheit in den inneren Kämpfen, welche die Teilung der Beute unter ihnen hervorrief. Die Anführer wollten alles; das Volk forderte seinen Teil. Daher die Stürme auf das Forums, die Rückzüge nach dem Aventinischen Berge, die Agrargesetze, die Vermittlung der Tribunen, die Popularität der Verschwörer; daher diese Maxime: Malo periculosam libertatem etc. welche in unsere Sprache übergegangen ist, und womit ich auf dem Gymnasium alle meine Schulbücher verzierte:

Freiheit! Freiheit! welche Reize haben
Deine Stürme für ein großes Herz

Schöne Beispiele, erhabene Lehren, kostbare Samenkörner, um sie in die Seele der französischen Jugend zu legen!

Was soll man über die römische Moral sagen? Und ich spreche hier nicht von den Beziehungen des Vaters zum Sohn, des Gatten zur Gattin, des Patrons zum Klienten, des Herrn zum Diener, des Menschen zu Gott, Beziehungen, welche die Sklaverei für sich allein genommen schon in ein Gewebe von Schändlichkeiten verwandeln musste; ich will nur bei dem stehen bleiben, was man die schöne Seite der Republik nennt, dem Patriotismus. Was ist dieser Patriotismus? Der Hass des Fremden. Alle Zivilisation vernichten, allen Fortschritt ersticken, Fackel und Schwert in die Welt tragen, Frauen, Kinder, Greise an den Triumphwagen ketten, das war der Ruhm, das war die Tugend. Diesen Entsetzlichkeiten war der Marmor der Bildhauer und der Gesang der Dichter vorbehalten. Wie oft haben unsere jungen Herzen bei diesem Schauspiel nicht vor Bewunderung, ach! und vor Nacheiferung geklopft! So bereiteten uns unsere Lehrer, ehrwürdige Priester, reich an Jahren und an Liebe, für das christliche und zivilisierte Leben vor, so groß ist die Macht des Konventionalismus!

Die Lehre ist nicht verloren; und von Rom kommt ohne Zweifel der Ausspruch, der vom Diebstahl wahr, von der Arbeit falsch ist: Ein Volk verliert das, was ein anderes gewinnt, ein Ausspruch, der noch immer die Welt beherrscht.

Um uns von der römischen Moral eine Vorstellung zu machen, wollen wir uns mitten in Paris eine Assoziation von Menschen denken, welche die Arbeit hassen, entschlossen, sich durch List und Gewalt Genüsse zu verschaffen, folglich im Kriege mit der Gesellschaft. Man darf nicht zweifeln, dass sich im Schoß dieser Assoziation bald eine gewisse Moral und selbst starke Eigenschaften bilden werden. Mut, Standhaftigkeit, Verstellung, Klugheit, Mannszucht, Ausdauer im Unglück, tiefe Verschwiegenheit, Ehrgefühl, Hingebung für die Gemeinschaft, das werden ohne Zweifel die Tugenden sein, welche die Notwendigkeit und die öffentliche Meinung unter diesen Räubern entwickeln werden; das waren die der Flibustier; das waren die der Römer. Man wird sagen, dass bei letzteren die Größe ihres Unternehmens und ihr unermesslicher Erfolg einen so ruhmreichen Schleier auf ihre Verbrechen geworfen hat, dass sie sie in Tugenden verwandelt hat. — Und eben deshalb ist diese Schule so verderblich. Es ist nicht das niedrige Laster, es ist das mit Glanz gekrönte Laster, welches die Seelen auf Abwege führt.

Endlich, in Rücksicht auf die Gesellschaft, hat die alte Welt der neuen zwei falsche Ideen hinterlassen, welche sie erschüttern und sie noch lange Zeit erschüttern werden.

Die eine: Dass die Gesellschaft ein Zustand außer der Natur ist, der aus einem Vertrage hervorgegangen ist. Diese Idee war vor Zeiten nicht so irrig, wie sie es heut zu Tage ist. Rom, Sparta, das waren wohl zwei Ansammlungen von Menschen, die einen gemeinsamen und bestimmten Zweck hatten: das Plündern; das waren nicht eigentlich Gesellschaften, sondern Armeen.

Die andere, die aus der vorigen folgt: Dass das Gesetz die Rechte schafft, und dass folglich der Gesetzgeber und die Menschen zueinander im selben Verhältnis stehen wie Töpfer und Ton  — Minos, Lykurg, Salon, Numa hatten die kretensische, lakedämonische, atheniensische, römische Gesellschaft verfertigt. Plato war Verfertiger eingebildeter Republiken, die den künftigen Begründern der Völker und Vätern der Nationen zum Muster dienen sollten.

Nun, beachtet es wohl, diese zwei Ideen stellen das besondere Merkmal, das charakteristische Gepräge des Sozialismus, dies Wort im schlechtesten Sinne und als die gemeinsame Aufschrift aller sozialen Utopien genommen.

Wer unwissend, dass der gesellschaftliche Körper, wie der menschliche Körper, ein Inbegriff natürlicher Gesetze ist, daran denkt, eine künstliche Gesellschaft zu schaffen und anfängt, Familie, Eigentum, Recht, die Menschheit nach seinem Belieben zu ordnen, ist Sozialist. Er betreibt nicht Physiologie, er betreibt Bildhauerkunst; er beobachtet nicht, er erfindet; er glaubt nicht an Gott, er glaubt an sich selbst; er ist nicht Gelehrter, er ist Tyrann; er dient nicht den Menschen, er verfügt über sie; er studiert nicht ihre Natur, er verändert sie nach dem Rate Rousseaus. Er begeistert sich am Altertum; er folgt Lykurg und Plato. — Und um es mit einem Wort zu sagen, er ist sicherlich ein Bachelier.

Du übertreibst, wird man mir sagen, es ist nicht möglich, dass unsere studierende Jugend aus dem schönen Altertum so beklagenswerte Ansichten und Gesinnungen schöpft.

Und wollt Ihr denn, dass sie etwas anderes daraus schöpft als was darin ist? Strengt Euer Gedächtnis an und erinnert Euch, in welcher Geistesverfassung Ihr nach Abschluss der Schule in die Welt eingetreten seid. Branntet Ihr nicht vor Verlangen, den Verheerern der Erde und den Unruhestiftern des Forums nachzuahmen? Wenn ich meinerseits die heutige Jugend zu Tausenden in die Form von Brutussen und Gracchen gießen sehe, um sie dann, unfähig zu ehrlicher Arbeit (opus servile), auf die Presse und auf die Straße zu werfen, so bin ich erstaunt, dass sie diese Probe besteht. Denn der klassische Unterricht hat nicht bloß die Unklugheit, uns in das römische Leben zu versenken. Er versenkt uns darin, indem er uns daran gewöhnt, uns dafür zu exaltierten, es als ein schönes Menschheitsideal zu betrachten, als erhabenes Vorbild, das für moderne Seelen zu hoch ist, dem wir aber nachstreben sollen, ohne jemals zu hoffen, es erreichen zu können.

Will man einwenden, dass der Sozialismus auch die Klassen, die kein Baccalaureat anstreben, eingenommen hat, so werde ich mit Herrn Thiers antworten:

Der Sekundärunterricht lehrt die Kinder der wohlhabenden Klassen die alten Sprachen … Es sind nicht bloß Worte, welche man die Kinder lehrt, indem man sie Griechisch und Latein lehrt, es sind edle und erhabene Dinge ( Raub, Krieg und Sklaverei), es ist die Geschichte des Menschengeschlechts in einfachen, großen, unauslöschlichen Bildern.. Der Sekundärunterricht bildet das, was man die aufgeklärten Klassen einer Nation nennt. Wenn nun die aufgeklärten Klassen nicht die ganze Nation sind, so geben sie ihr doch das Charakteristische. Ihre Laster, ihre Eigenschaften, ihre guten und schlechten Neigungen sind bald diejenigen der ganzen Nation, sie erschaffen das Volk durch die Verbreitung ihrer Gedanken und ihrer Gesinnungen. (sehr gut)

Nichts ist wahrer und nichts erklärt besser die verderblichen und künstlichen Abwege unserer Revolutionen.

Das Altertum, fügte Herr Thiers hinzu, wagen wir es, dies zu einem auf sich selbst stolzen Jahrhundert zu sagen, das Altertum ist das Schönste, was es in der Welt gibt. Lassen wir, meine Herrn, lassen wir die Kindheit im Altertum, wie in einem ruhigen, friedlichen und unverdorbenen Asyl, dazu bestimmt, sie frisch und rein zu erhalten.

Die Ruhe Roms! der Friede Roms! die Reinheit Roms! ach! Wenn die lange Erfahrung und der außerordentlich gesunde Verstand des Herrn Thiers ihn vor einer so sonderbaren Vorliebe nicht haben bewahren können, wie könnt Ihr erwarten, dass unsere feurige Jugend sich davon frei hält?

Dieser Tage hat die Nationalversammlung einem komischen Dialog beigewohnt, der gewiss der Feder Molières würdig war.

Herr Thiers, von der Tribüne herab und ohne zu lachen, sich zu Herrn Barthelemy Saint-Hilaire wendend:

Sie haben unrecht nicht hinsichtlich der Kunst, sondern in moralischer Hinsicht, besonders für die Franzosen, die eine Lateinische Nation sind, die griechischen Schriften den Lateinischen vorzuziehen.

Herr Barthelemy de Saint-Hilaire, auch ohne zu lachen: Und Plato!

Herr Thiers, immer ohne zu lachen:

Man hat recht getan, man tut recht, die griechischen und lateinischen Studien zu pflegen. Ich ziehe die lateinischen in moralischer Hinsicht vor. Aber man hat gewollt, dass die armen jungen Leute zu gleicher Zeit das Deutsche, das Englische, die exakten Wissenschaften, die physischen Wissenschaften, die Geschichte usw. verstehen.

Zu wissen, was ist, darin liegt das Übel. Die römischen Sitten in sich aufzunehmen, darin liegt die Moralität!

Herr Thiers ist weder der erste, noch der einzige, der dieser Täuschung, ich hätte beinahe gesagt, dieser Mystifikation anheimgefallen ist. Es sei mir gestattet, mit wenigen Worten auf den tiefen Eindruck ( und welchen Eindruck!) hinzuweisen, den der klassische Unterricht auf Literatur, Moral und Politik unseres Landes gemacht hat.

Es ist dies ein Gemälde, welches zu vollenden ich weder die Muße habe, noch Anspruch mache, denn welcher Schriftsteller müßte nicht darauf erscheinen? Begnügen wir uns mit einer Skizze.

Ich werde nicht auf Montaigne zurückgehen. Jedermann weiß, dass er seinem schwächlichen Willen nach Spartaner war, so wenig er es seinen Neigungen nach war.

Was Corneille, dessen aufrichtiger Bewunderer ich bin, betrifft, so glaube ich, dass er dem Geist des Jahrhunderts einen traurigen Dienst geleistet hat, indem er durch schöne Verse, wie die folgenden, unnatürlichen, überspannten, wilden, antisozialen Gesinnungen einen Stempel erhabener Größe aufdrückte:

Dem allgemeinen Wohl hingeben, was man liebt,
Und seinem andern Ich im Kampf entgegen stehn…
Solch eine Tugend war nur eigen uns allein…
Gewählt hat Rom sich meinen Arm, ich prüfte nichts,
Ich will mit gleicher rücksichtsloser Hingebung
Die Schwester frein, so wie dem Bruder kämpfend nahn.

Und ich gestehe, dass ich mich geneigt fühle, die Ansicht des Curatius zu teilen, die er nicht von einer besonderen Tat, sondern von der ganzen Geschichte Roms hegt, wenn er sagt:

Der Götter sag ich Dank, dass ich kein Römer bin,
So trag ich Menschliches doch etwas noch im Sinn.

Fenelon: Heut erregt uns der Kommunismus Schauder, weil er uns erschreckt; hatte aber langer Umgang mit den Alten nicht aus Fenelon einen Kommunisten gemacht, aus diesem Mann, den das moderne Europa mit Recht als das schönste Vorbild moralischer Vollkommenheit betrachtet? Lest seinen Telemach, dies Buch, welches man sich beeilt, den Kindern in die Hände zu geben; Ihr werdet darin finden, dass Fenelon die Züge von der Weisheit selbst entlehnt, um die Gesetzgeber zu unterweisen. Und nach welchem Plan organisiert er seine Mustergesellschaft? Auf der einen Seite der Gesetzgeber, der denkt, erfindet, handelt; auf der anderen die Gesellschaft, unempfindlich und träge, lässt sich behandeln. So ist die moralische Triebfeder, die Initiative allen Menschen entrissen, um das Vorrecht eines Einzigen zu sein. Fenelon, der Vorläufer unserer kühnsten Organisatoren, entscheidet über Nahrung, Wohnung, Kleidung, Spiel, Beschäftigungen aller Salentiner. Er sagt, was ihnen zu trinken und zu essen erlaubt sein soll, nach welchem Plan ihre Häuser gebaut werden, wie viel Zimmer sie haben, wie sie möbliert sein sollen.

Er sagt .. doch ich überlasse ihm das Wort:

Mentor stellte Beamte an, denen die Kaufleute von ihrem Vermögen, ihren Gewinnen, ihren Unternehmungen Rechnung legten … andererseits war vollständige Freiheit des Handels … Er verbot alle Waren fremder Länder, welche Luxus und Verweichlichung  hineintragen konnten. Er entfernte eine große Anzahl von Kaufleuten, welche gemustertes Tuch usw. verkauften .. Er bestimmte die Kleider, die Nahrung, die Möbel, die Größe und Verzierung der Häuser für alle verschieden Stände.

Bestimme die Stände nach der Geburt, sagte er zum König …  ; die Personen vom ersten Rang nach Dir werden weiß gekleidet sein …; die vom zweiten Rang blau …; die vom dritten grün …; die vom vierten rotgelb; die vom fünften blass- oder rosenrot …; die vom sechsten flachsblütenfarbig  …; und die vom siebten, welche die letzten des Volks sein werden, in einer aus gelb und weiß gemischten Farbe. das sind die Kleidungen der sieben verschiedenen Stände der Freien. Alle Sklaven werden graubraun gekleidet sein. Man wird niemals eine Änderung gestatten, weder im Tuch, noch im Schnitt der Kleider.

Er bestimmt selbst die Nahrung der Bürger und der Sklaven.

Er unterdrückte ferner zarte und verweichlichte Musik.

Er entwarf Muster einer einfachen und anmutigen Architektur. Er wollte, dass jedes bedeutendere Haus einen Saal und eine Säulenhalle hätte, nebst kleinen Zimmern für alle Freien.

Übrigens hinderte die Mäßigkeit und Genügsamkeit Mentors nicht, dass er alle großen für Pferde- und Wagenrennen, für Kämpfe von Ringern und Faustkämpfern bestimmte Bauwerke genehmigte.

Die Malerei und die Bildhauerkunst erschienen Mentor als Künste, die aufzugeben nicht zulässig ist; er wollte aber, dass man in Salent wenige diesen Künsten zugetane Menschen duldete.

Erkennt man hierin nicht eine durch die Lektüre Platos und das Beispiel Lykurgs erhitzte Phantasie, die sich an Versuchen mit Menschen wie mit einer gewöhnlichen Materie ergötzt?

Und man möge solche Chimären nicht damit entschuldigen, dass man sagt, sie entsprängen einem übertriebenen Wohlwollens. Das kann man von allen Organisierern und Desorganisierern sagen.

Rollin: Ein anderer Mann, an Geist und an Herz Fenelon beinahe gleich, der sich mehr als Fenelon mit der Erziehung beschäftigt hat, ist Rollin. Nun wohl! Zu welchem Grade von intellektueller und moralischer Niedrigkeit hat nicht die lange Beschäftigung mit dem Altertum diesen ehrlichen Rollin gebracht! Man kann seine Schriften nicht lesen, ohne von Traurigkeit und Bedauern ergriffen zu werden. Man weiß nicht, ob er Christ oder Heide ist, so unparteiisch zeigt er sich zwischen Gott und den Göttern. Die Wunder der Bibel und die Sagen der heroischen Zeiten finden bei ihm denselben Glauben. Auf seinem ruhigen Antlitz sieht man immer den Schatten kriegerischer Leidenschaften umherirren; er spricht nur von Wurfspießen, Schwertern und Katapulten. Für ihn, wie für Bossuet, ist es eins der interessantesten sozialen Probleme, ob die Makedonische Phalanx oder die Römische Legion besser war. Er pries die Römer, weil sie nur den Wissenschaften obgelegen haben, welche das Herrschen zum Zweck haben: Beredsamkeit, Politik, Kriegskunst. In seinen Augen sind alle anderen Kenntnisse Quellen der Verderbnis und nur geeignet, die Menschen dem Frieden geneigt zu machen; er verbannt sie auch sorgsam aus seinen Schulen, unter dem Beifallsklatschen des Herrn Thiers. All sein Weihrauch ist für Mars und Bellona; kaum verwendet er einige Körnchen für Christus. Als trauriger Spielball des Konventionalismus, der den klassischen Unterricht zur Herrschaft gebracht hat, ist er von vorne herein so entschieden, die Römer zu bewundern, dass er, in Beziehung auf sie, die einfache Unterlassung der größten Missetaten mit den höchsten Tugenden gleichstellt. Dass Alexander es bereute, seinen besten Freund ermordet zu haben, dass Scipio eine Frau ihrem Gatten nicht entführte, beweist in seinen Augen einen unnachahmlichen Heroismus. Kurz wenn er aus jedem von uns einen lebendigen Widerspruch gemacht hat, so ist er darin sicherlich das vollkommenste Muster.

Man könnte meinen, dass Rollin Enthusiast des Kommunismus und der lakedämonischen Institutionen war. Lassen wir ihm indes Gerechtigkeit widerfahren; seine Bewunderung ist nicht exklusiv. Mit den entsprechenden Rücksichten wirft er diesem Gesetzgeber vor, seinem Werke vier leichte Makel aufgedrückt zu haben:

  1. die Untätigkeit
  2. die Promiskuität
  3. den Kindsmord,
  4. den Massenmord an Sklaven

Während der ehrliche Tropf nach Nennung dieser vier Vorbehalte wieder in den klassischen Konventionalismus zurückfällt, sucht er in Lykurg nicht einen Menschen, sondern einen Gott und findet seine Polizei vollkommen.

Die Einmischung des Gesetzgebers in alle Angelegenheiten erscheint Rollin so unerläßlich, dass er den Griechen ganz ernstlich darüber Glück wünscht, dass ein Mann namens Pelagus kam, und sie Eicheln zu essen lehrt. Vorher, sagte er, nagten sie das Gras ab wie die Tiere.

Anderswo sagt er:

Gott schuldet die Herrschaft der Welt den Römern als Lohn für ihre großen Tugenden, die nur scheinbar sind. Er hätte nicht Recht angedeihen lassen, wenn er diesen Tugenden, die nichts Reelles haben, einen geringeren Preis bewilligt hätte.

Sieht man hier nicht deutlich, wie der Konventionalismus und das Christentum sich in der Person Rollins um eine arme Seele im Fegefeuer streiten? Der Geist dieser Phrase ist der Geist aller Werke des Begründers des Unterrichts in Frankreich. Sich widersprechen, Gott sich widersprechen lassen und uns lehren, uns zu widersprechen, das ist der ganze Rollin, das ist das ganze Baccalaureat.

Wenn auch die Promiskuität und der Kindermord Rollin bei den Institutionen des Lykurg ihm Bedenken erregen, so lässt er sich doch für alle Übrige leidenschaftlich einnehmen und findet selbst Mittel, den Diebstahl zu rechtfertigen. Und zwar so. Die Stelle ist merkwürdig und knüpft sich so an mein Thema, dass sie angeführt zu werden verdient.

Rollin beginnt damit, das Prinzip aufzustellen, dass das  GESETZ DAS EIGENTUM SCHAFFT — ein verderbliches Prinzip, das allen Organisatoren gemeinsam ist und das wir sogleich im Munde Rousseaus, Mablys, Mirabeaus, Robespierres und Babeufs wiederfinden werden. Da nun das Gesetz der Grund für das Bestehens von Eigentum ist, kann es nicht ebensowohl der Grund für das Bestehens von Diebstahl sein? Was ist dieser Folgerung entgegenzusetzen?

Der Diebstahl war in Sparta erlaubt, sagt Rollin, er war strenge bestraft bei den Skythen. Der Grund dieser Verschiedenheit ist sichtlich, nämlich das Gesetz, welches allein über das Eigentum und den Gebrauch der Güter entscheidet, hatte bei den Skyten dem einzelnen nichts auf das Gut eines andern eingeräumt und bei den Lakedämoniern hatte das Gesetz ganz das Gegenteil getan.

Hernach ruft der gute Rollin im Eifer seiner Schutzrede zu Gunsten des Diebstahls und des Lykurg, die unbestreitbarste der Autoritäten an, die Gottes:

Nichts ist gewöhnlicher, sagt er, als gleiche auf das Gut anderer eingeräumte Rechte: so hatte Gott nicht bloß den Armen die Befugnis gegeben, Trauben in den Weinbergen zu pflücken und Ähren auf den Feldern zu sammeln und ganze Garben davon mitzunehmen, sondern hatte auch jedem Vorübergehenden ohne Unterschied die Freiheit eingeräumt, so oft es ihm gefüllt, in den Weinberg eines andern zu gehen und dort so viel Trauben zu essen, als er wollte, wider den Willen des Herrn des Weinberges. Gott gibt hiervon selbst den ersten Grund an, nämlich dass das Land Israel ihm gehörte und dass die Israeliten es nur unter dieser lästigen Bedingung innehatten.

Man wird ohne Zweifel sagen, dass dies eine Rollin eigentümliche Doktrin ist. Das eben ist es, was ich sage. Ich suche zu zeigen, bis zu welchem Grade moralischer Verworfenheit der alltägliche Umgang mit der abscheulichen antiken Gesellschaft die schönsten und die ehrlichsten Seelen bringen kann.

Montesquieu: Man hat von Montesquieu gesagt, dass er die Rechte des Menschengeschlechts wiedergefunden habe. Er ist einer der großen Schriftsteller, von denen jeder Satz das Privileg hat, eine Autorität zu begründen. Gott behüte mich, dass ich seinen Ruhm verkleinern wollte. Was muss man aber von der klassischen Erziehung denken, wenn sie diesen edlen Geist so weit irre führte, dass er im Altertum die barbarischsten Institutionen bewunderte?

Die alten Griechen, von der Notwendigkeit durchdrungen, dass die Völker, welche unter einer populären Regierung lebten, für die Tugend erzogen werden, machten eigentümliche Einrichtungen, um sie einzuflößen … Die Gesetze Kretas waren das Vorbild derer von Lakedämon; und diejenigen Platos waren ihre Verbesserung.

Ich bitte der Größe des Genies einige Beachtung zu schenken, welches diese Gesetzgeber haben mussten, um einzusehen, dass die dadurch der Welt ihre Weisheit zeigten, dass sie gegen alle herkömmlichen Gebräuche verstießen und alle Tugenden durcheinander brachten. Indem Lykurg den Diebstahl mit dem Geist der Gerechtigkeit, die härteste Sklaverei mit der höchsten Freiheit, die grausamsten Neigungen mit der größten Mäßigkeit vermengte, verlieh er seiner Stadt festen Bestand. Er schien ihr alle Ressourcen zu nehmen, die Künste, den Handel, das Geld, die Mauern; man hat dort Ehrgeiz ohne Hoffnung besser zu sein; man hat dort die natürlichen Gefühle und man ist dort weder Kind, noch Gatte, noch Vater, sogar die Schamhaftigkeit ist der Keuschheit genommen. Durch solche Wege ist Sparta zu Größe und zum Ruhm geführt worden; aber mit einer solchen Unfehlbarkeit seiner Institutionen, dass man gegen dasselbe nichts erreichte, indem man Schlachten gewann, wenn man nicht schaffte, ihm auch seine Polizei zu nehmen.
(Esprit des Lois, livre IV.; chap VIII)

Diejenigen, welche dergleichen Institutionen schaffen wollen, werden die Gemeinschaft der Güter der Republik Platos einführen, diese Achtung, welche er für die Güter verlangte, die Absonderung von den Fremden für die Bewahrung der Sitten, das Gemeinwesen, welches den Handel treibt, und nicht die Bürger; sie werden unsere Künste ohne unsern Luxus und unsere Bedürfnisse ohne unsere Wünsche gewähren.

Montesquieu erklärt mit diesen Worten den großen Einfluß, welchen die Alten der Musik zuschrieben.

… Ich glaube, ich könnte dies so erklären: Man muss sich vorstellen „dass in den griechischen Städten und besonders in denen, die als Hauptbeschäftigung den Krieg hatten, jede Arbeit und jedes Gewerbe, womit man Geld verdienen konnte, als eines freien Mannes unwürdig angesehen wurde. „Die meisten Künste“, sagt Xenophon, „verderben den Körper derjenigen, welche sie treiben; man muss dabei im Schatten oder beim Feuer sitzen; man hat dabei weder Zeit für seine Freunde noch für die Republik.
Nur zur Zeit der Verderbnis einiger Demokratien gelangten die Handwerker dahin, Bürger zu werden. Dies erzählt uns Aristoteles; und er behauptet, dass eine gute Republik ihnen niemals das Bürgerrecht erteilen werde.

Der Ackerbau war auch eine sklavische Beschäftigung und gewöhnlich war es irgendein besiegtes Volk, das denselben trieb: die Heloten bei den Lakedämoniern, die Periöken bei den Kretensern, die Penesten bei den Thessaliern und andere Sklavenvölkern in andern Republiken.

Endlich war aller Handel bei den Griechen ehrlos. Ein Bürger hätte dabei einem Sklaven, einem Mietsmann, einem Fremden Dienste leisten müssen: diese Idee beleidigte den griechischen Freiheitssinn. Ach will Plato in seinen Gesetzen, dass man einen Bürger, welcher Handel treibt, bestraft.

MAN war also in den griechischen Republiken sehr in Verlegenheit: MAN wollte nicht, dass sich die Bürger mit dem Handel, dem Ackerbau oder mit den Künsten beschäftigen; MAN wollte auch nicht, dass sie müßig gingen. Sie fanden eine Beschäftigung in Gymnastikübungen und solchen, welche dem Krieg dienen. Die Erziehung gewährte ihnen keine anderen. Man muss also die Griechen wie eine Gesellschaft von Athleten und Kämpfenden betrachten. Diese Übungen nun, die so geeignet sind, die Leute rauh und wild zu machen, bedurften einer Mäßigung durch andere, welche die Sitten milder machen konnten. Die Musik, welche durch die Organe des Körpers ins Gemüt dringt, war hierzu sehr geeignet.
(Esprit des Lois, livre V.)

Das ist die Idee, dass der klassische Unterricht uns von der Freiheit gibt. Seht nun, wie er uns lehrt, die Gleichheit und Genügsamkeit zu begreifen:

Obgleich in der Demokratie die wirkliche Gleichheit die Seele des Staats ist, so ist sie doch so schwer herzustellen, dass eine äußerste Genauigkeit in dieser Beziehung nicht immer zweckmäßig sein würde. Es genügt, dass man einen Zensus bestimmt, der die Unterschiede bis auf einen gewissen Punkt beschränkt oder feststellt; wonächst denn besondere Gesetze durch die Lasten, welche sie den Reichen auflegen und durch Erleichterungen, welche sie den Armen gewähren, die Ungleichheiten sozusagen ausgleichen müssen.
(Esprit des Lois, livre V. chap. V)

In einer guten Demokratie genügt es nicht, dass die Anteile des Bodens gleich sind, sie müssen klein sein, wie bei den Römern …

So wie die Gleichheit des Vermögens die Genügsamkeit erhält, so unterstützt die Genügsamkeit die Gleichheit des Vermögens. Diese beiden Dinge, obgleich voneinander unterschieden, sind doch so beschaffen, dass keines ohne das andere bestehen kann.
(Esprit des Lois. chap. IV)

Die Samniter hatten eine Gewohnheit, die in einer kleinen Republik und besonders in der Lage, worin sich die ihrige befand, bewundernswürdige Wirkungen hervorbringen musste. Man versammelte alle jungen Leute und musterte sie. Der, welcher für den besten unter allen erklärt wurde, nahm das Mädchen zur Frau, welches er wollte; der, auf welchen die Stimmen zunächst fielen, wählte gleichfalls und so fort … Es wäre schwer, eine Belohnung zu erdenken, die edler, größer, für einen kleinen Staat weniger lästig und fähiger wäre, auf das eine oder das andere Geschlecht einzuwirken.
Die Samniter stammten von den Lakedämoniern ab; und Plato dessen Anordnungen nur die Vervollkommnung der Gesetze des Lykurg sind, gab beinahe ein gleiches Gesetz.
(Esprit des Lois, livre VII. chap. XVI.)

Rousseau. Kein Mensch hat auf die Französische Revolution solchen Einfluss geübt wie Rousseau. „Seine Werke, sagt L. Blanc, lagen auf dem Tisch des Wohlfahrts-Ausschusses.“ „Seine Paradoxien, sagt er ferner, die sein Jahrhundert als literarische Kühnheiten nahm, sollten bald in den Versammlungen der Nation in der Form dogmatischer und wie das Schwert schneidender Wahrheiten wiederhallen.“ Und damit das moralische Band,, welches Rousseau an das Altertum knüpft, nicht verkannt werde, fügt derselbe Lobredner hinzu: „Sein Stil erinnert an die pathetische und heftige Sprache eines Sohns der Cornelia.“

Wer weiss nicht außerdem, dass Rousseau der leidenschaftlichste Bewunderer der Ideen und Sitten war, welche man übereingekommen ist, den Römern und den Spartanern zuzuschreiben? Er sagt selbst, dass das Lesen des Plutarch ihn zu dem gemacht hat, der er ist.

Seine erste Schrift war gegen die menschliche Intelligenz gerichtet. Schon auf den ersten Seiten tut er den Ausruf:

Werde ich vergessen, dass man im Herzen Griechenlands dies ebenso durch seine glückliche Unwissenheit als durch die Weisheit seiner Gesetze berühmte Gemeinwesen aufkommen sah, diese Republik mehr von Göttern als von Menschen, so sehr schienen ihre Tugenden der menschlichen Natur überlegen zu sein? O Sparta! ewige Schmach einer eitlen Gelehrsamkeit! während die Laster im Gefolge der schönen Künste in Athen Eingang fanden, während dort selbst ein Tyrann mit solcher Sorgfalt die Werke des Fürsten der Dichter sammelte, verbanntest Du aus deinen Mauern die Künste und die Künstler, die Wissenschaften und die Gelehrten!
(Discours sur la retablissement des sciences et des arts.)

In seinem zweiten Werk, dem Discours sur l’inegalite des conditions, erging er sich mit noch größerer Heftigkeit gegen alle Grundlagen der Gesellschaft und der Zivilisation. Deshalb hielt er sich für den Ausleger der antiken Weisheit:

Ich werde mir vorstellen, dass ich im Lyzeum zu Athen bin, die Lehren meiner Meister wiederhole, einen Plato und einen Xenokrates als Richter und das menschliche Geschlecht als Zuhörer habe.

Der Hauptgedanke dieser berühmten Abhandlung lässt sich so zusammenfassen: Das schrecklichste Los erwartet diejenigen, welche das Unglück haben, nach uns geboren zu werden und ihre Kenntnisse den unsrigen hinzuzufügen. Die Entwicklung unserer Fähigkeiten macht uns schon sehr unglücklich. Unsere Väter waren es weniger, da sie unwissender waren. Rom näherte sich der Vollkommenheit, Sparta hatte sich verwirklicht, so weit die Vollkommenheit mit dem Gesellschaftszustand vereinbar ist. Aber das wahre Glück für den Menschen besteht darin, in Wäldern zu leben, allein, nackt, ohne Bande, ohne Liebe, ohne Sprache, ohne Religion, ohne Ideen, ohne Familie, kurz, in dem Zustand, wo er dem Tier so nahe stand, dass es sehr zweifelhaft ist, ob er sich aufrecht hielt und ob seine Hände nicht Füße waren.

Unglücklicherweise hat sich dieses goldene Zeitalter nicht verewigt. Die Menschen sind durch einen Zwischenzustand hindurchgegangen, der einigermaßen Reize hatte:

So lang sie sich mit ihren rohen Hätten begnügten, so lange sie sich damit begnügten, ihre Kleider von Fellen mit Fischgräten zu nähen, sich mit Federn und Muscheln zu schmücken, ihre Körper mit verschiedenen Farben zu bemalen … so lange sie sich nur mit Arbeiten beschäftigten, die ein Einziger ausführen konnte, lebten sie frei, gesund, gut und glücklich.

Ach!  sie verstanden es nicht, bei diesem ersten Grad der Kultur stehen zu bleiben:

Von dem Augenblick an, wo ein Mensch der Hilfe eines andern bedurfte ( das ist die unselige Erscheinung der Gesellschaft); sobald man merkte, dass es einem einzelnen nützlich war, Vorräte für zwei zu haben, verschwand die Gleichheit, verschaffte sich das Eigentum Eingang, wurde die Arbeit notwendig…
Der Bergbau und der Ackerbau waren die beiden Künste, deren Erfindung diese große Revolution hervorbrachte. Für den Dichter ist es Gold und Silber, für den Philosophen ist es Eisen und Getreide, welche die Menschen zivilisiert und das menschliche Geschlecht verdorben haben.

Man muss also aus dem Naturzustand herausgehen, um in die Gesellschaft einzutreten. Das ist die Veranlassung zu dem dritten Werk Rousseaus: le Contrat social.

Es gehört nicht zu meiner Aufgabe, dies Werk hier zu rezensieren; ich werde mich darauf beschränken, darauf hinzuweisen, dass sich darin die Griechisch-Römischen Ideen auf jeder Seite wiederholen.

Da die Gesellschaft ein Vertrag ist, so hat jeder das Recht, für sich Bestimmungen zu treffen.

Es kommt nur denen zu, welche sich vereinigen, die Bedingungen der Gesellschaft zu bestimmen.

Aber das ist nicht leicht.

Wie werden sie dieselben bestimmen? Wird es mit gemeinsamen Einverständnis, durch eine plötzliche Eingebung geschehen? … Wie würde eine blinde Menge, die oft nicht weiß, was sie will, aus sich selbst ein so großes, so schwieriges Unternehmen, wie ein System der Gesetzgebung ist, ausführen? Daher die Notwendigkeit eines Gesetzgebers.

Sonach ist das allgemeine Stimmrecht, sowie es in der Theorie angenommen ist, in der Praxis sogleich fallengelassen.

Denn wie wird sich dieser Gesetzgeber dabei benehmen, der in allen Beziehungen ein außerordentlicher Mann sein muss, der, wenn er es unternimmt, ein Volk zu begründen, sich im Stande fühlen muss, die menschliche Natur umzugestalten, die physische und moralische Konstitution des Menschen zu ändern, der, mit einem Worte, die Maschine erfinden muss, deren Material die Menschen sind?

Rousseau zeigt hier sehr gut, dass der Gesetzgeber weder auf Gewalt, noch auf Überredung bauen kann. Wie soll man also aus dieser Klemme herauskommen? Durch Betrug.

Das ist es, was zu allen Zeiten die Väter der Nationen nötigte, die Dazwischenkunft des Himmels zur Hilfe zu nehmen und die Götter mit ihrer eigenen Weisheit zu beehren. Dieser erhabene Grund, welcher sich über gemeine Seelen erhebt, ist, weshalb der Gesetzgeber seine Entscheidungen den Unsterblichen in den Mund legt, um durch göttliche Autorität über diejenigen, welche menschliche Klugheit nicht erschüttern würde, Gewalt zu erhalten. Aber es kommt nicht allen zu, die Götter sprechen zu lassen. (Die Götter! die Unsterblichen! Klassische Reminiszenz.)

Wie Plato und Lykurg, seine Meister, wie die Spartaner und die Römer, seine Helden, gab Rousseau den Worten Arbeit und Freiheit einen Sinn, wonach sie zwei unvereinbare Ideen ausdrückten. In dem Gesellschaftszustande muss man also wählen: darauf verzichten, frei zu sein, oder vor Hunger streben. Es gibt indessen einen Ausweg aus der Schwierigkeit, und dieser ist die Sklaverei.

Von dem Augenblick an, wo ein Volk sich Vertreter gibt, ist es nicht mehr frei!
Bei den Griechen tat das Volk alles, was es zu tun hatte, selbst. Es war fortwährend auf dem Markt versammelt; Sklaven taten seine Arbeiten, sein großes Geschäft war die Freiheit. Wenn man nicht mehr die gleichen Vorteile hat, wie soll man die gleichen Rechte bewahren? Ihr gebt mehr auf Euren Gewinn als auf Eure Freiheit, und Ihr fürchtet viel weniger das Elend als die Sklaverei.
Wie! die Freiheit besteht nur mit Hilfe der Sklaverei? Vielleicht. Die beiden Extreme berühren sich. Alles, was nicht nach der Natur ist, hat sein Unbequemes, und die bürgerliche Gesellschaft mehr als alles Übrige. Es gibt so unglückliche Lagen, wo man seine Freiheit nur auf Kosten der Freiheit anderer retten kann, und wo der Bürger nicht im höchsten Grade frei sein kann, ohne dass der Sklave im höchsten Grade Sklave ist. So war die Lage Spartas. Ihr, modernen Völker, Ihr habt keine Sklaven, aber Ihr seid Sklaven usw.

Das nun ist der klassische Konventionalismus. Die Alten hatten es so weit gebracht, sich Sklaven für ihre tierischen Instinkte anzuschaffen. Da es aber eine abgemachte Sache, eine Überlieferung des Gymnasiums ist, alles, was sie taten, schön zu finden, so schreibt man ihnen geläuterte Urteile über die Quintessenz der Freiheit zu.

Der Gegensatz, den Rousseau zwischen dem Naturzustand und dem Gesellschaftszustand aufstellte, ist eben so verderblich für die Privatmoral als für die öffentliche Moral. Nach diesem System ist die Gesellschaft das Resultat eines Vertrags, der dem Gesetz den Ursprung gibt, welches seinerseits aus dem nichts die Gerechtigkeit und die Moralität hervorbringt. In dem Naturzustand gibt es weder Moralität noch Gerechtigkeit. Der Vater hat gegen seinen Sohn, der Sohn gegen seinen Vater, der Gatte gegen seine Frau, die Frau gegen ihren Gatten durchaus keine Pflicht. Ich schulde demjenigen nichts, dem ich nichts versprochen habe; ich gestehe andern nur das zu, was mir unnütz ist; ich habe ein unbeschränktes Recht auf alles, was mich anzieht und was ich erlangen kann.

Hierauf folgt, dass wenn der einmal geschlossene Gesellschaftsvertrag aufgelöst wird, alles mit einem Mal zusammenstürzt, Gesellschaft, Gesetz, Moralität, Gerechtigkeit, Pflicht. Jeder, sagt Rousseau, tritt in seine ursprünglichen Rechte zurück und erlangt seine natürliche Freiheit wieder, indem er die konventionelle Freiheit, für welche er auf jene verzichtete, verliert.

Nun muss man wissen, wie wenig dazu erforderlich ist, dass der Gesellschaftsvertrag aufgelöst wird. Das geschieht jedes mal, sobald ein einzelner seine Zusagen nicht hält oder sich der Vollstreckung irgendeines Gesetzes entzieht. In dem Augenblick, wo ein Verurteilter, wenn die Gesellschaft ihm sagt: „Es ist zweckmäßig, dass du stirbst.“ entweicht; wo ein Bürger die Steuern verweigert, wo ein Rechnungspflichtiger sich an der öffentlichen Kasse vergreift, ist der Gesellschaftsvertrag verletzt, alle moralischen Pflichten hören auf, Gerechtigkeit existiert nicht mehr, Väter, Mütter, Kinder, Gatten schulden sich nichts; Jeder hat ein unbeschränktes Recht auf alles, was ihn anzieht; mit einem Wort, die ganze Bevölkerung tritt in den Naturzustand zurück.

Ich gebe die Unordnungen zu bedenken, welche solche Lehren in revolutionären Zeiten hervorbringen müssen.

Sie sind für die Privatmoral nicht weniger verderblich. Welcher junge Mann, von Jugendfeuer und Begierden erfüllt, wird sich beim Eintritt in die Welt nicht sagen: „Die Antriebe meines Herzens sind die Stimme der Natur, die sich niemals täuscht. Die Institutionen, die mir in den Weg treten, kommen von den Menschen und sind nur willkürliche Übereinkünfte, bei denen ich nicht mitgewirkt habe. Indem ich diese Institutionen mit Füßen trete, werde ich das doppelte Vergnügen haben, meine Neigungen zu befriedigen, und mich als einen Heros zu betrachten. „

Muss man hier an das folgende traurige und peinliche Blatt aus den Confessions erinnern?

Mein drittes Kind wurde also ins Findelhaus gebracht ebenso wie die beiden ersten. Dasselbe geschah mit den beiden folgenden, denn ich hatte im ganzen fünf. Dies Verfahren erschien mir so zweckmäßig, dass, wenn ich mir dasselbe nicht zum Verdienst anrechnete, es nur aus Rücksicht auf ihre Mutter geschah … Indem ich meine Kinder der öffentlichen Erziehung überwies … betrachtete ich mich als ein Mitglied der Republik Platos!

Mably: Es bedarf keiner Ausführungen, um die griechisch-römische Manie des Abbe Mably zu nachzuweisen. Ein starrer Mensch, von beschränkterem Geist und weniger empfänglichem Herzen als Rousseau, so ließ die Idee bei ihm weniger Gemüt und Mannigfaltigkeit zu. Auch war er offen Platoniker, das heißt Kommunist. Überzeugt, wie alle Klassiker, dass die Menschheit ein Rohstoff für Fabrikanten von Institutionen ist, wollte er, wie alle Klassiker auch, lieber Fabrikant sein, als Rohstoff. In Folge dessen tritt er als Gesetzgeber auf. Auf diesen Titel hin, wurde er zunächst berufen, Polen zu instituieren, und er scheint damit kein Glück gemacht zu haben. Dann bot er den Anglo-Amerikanern die schwarze Suppe der Spartaner an, wozu er sie nicht geneigt machen konnte. Erzürnt über diese Blindheit, sagte er den Fall der Union vorher und gab ihr keine fünf Jahre des Bestehens.

Es sei mir gestattet, hier einen Vorbehalt zu machen. Wenn ich die ungereimten und subversiven Lehren von Männern wie Fenelon, Rollin, Montesquieu, Rousseau anführe, will ich sicherlich nicht behaupten, dass man diesen großen Schriftstellern nicht Seiten voll Verstand und Moralität zu verdanken hat. Aber was in ihren Schriften Falsches ist, kommt von dem klassischen Konventionalismus, und was Wahres darin ist, fließt aus einer anderen Quelle. Das ist eben meine These, dass der ausschließliche Unterricht der griechischen und lateinischen Literatur aus uns allen lebendige Widersprüche macht. Er zieht uns mit Gewalt nach einer Vergangenheit hin, welche er zum Entsetzen verherrlicht, während das Christentum, der Geist des Jahrhunderts und dieser Fonds von gesundem Menschenverstand, der niemals seine Rechte verliert, uns das Ideal in der Zukunft zeigen.

Ich verschone Euch mit Morelly, Brissot, Raynal, die den Krieg, die Sklaverei, den priesterlichen Betrug, die Gemeinschaft der Güter, den Müßiggang rechtfertigen, ja um die Wette preisen. Wer könnte sich über die unreine Quelle solcher Lehren täuschen? Diese Quelle muss ich gleichwohl noch nennen, es ist die klassische Erziehung, so wie sie uns allen durch das Baccalaureat aufgebürdet wird.

Nicht bloß literarischen Werken hat das ruhige, friedliche und reine Altertum sein Gift eingeflößt, sondern auch juristischen Schriften. Ich möchte wohl wissen, ob man bei irgendeinem unserer Rechtsgelehrten etwas findet, was einem vernünftigen Begriff vom Recht auf Eigentum nahe kommt. Und was kann das für eine Gesetzgebung sein, wo dieser Begriff fehlt? Dieser Tage habe ich Veranlassung gehabt, Vattels Traite du droit des gens (über Menschenrechte) aufzuschlagen. Ich finde darin, dass der Verfasser ein Kapitel der Untersuchung der Frage gewidmet hat: Ist es erlaubt, Frauen zu entführen? Es ist klar, dass die Legende von den Römern und den Sabinerinnen uns diesen kostbaren Abschnitt verschafft hat. Nachdem der Verfasser mit dem größten Ernst das Für und Wider gegeneinander abgewogen hat, entscheidet er sich bejahend. Das musste er zum Ruhme Roms. Haben die Römer jemals unrecht gehabt? Es besteht ein Konventionalismus, der uns verbietet, das zu denken; sie sind Römer, das genügt. Brand, Plünderung, Raub, alles, was von ihnen kommt, ist ruhig, friedlich und rein.

Wird man vorgeben, dass dies nur persönliche Auffassungen sind? Es wäre für unsere Gesellschaft ein Glück, wenn das gleichförmige Wirken des, durch die Beistimmung von Montaige, Corneille, Fenelon, Rollin, Montesquieu, Rousseau, Raynal, Mably verstärkten, klassischen Unterrichts nicht dazu beitrüge, die allgemeine Meinung zu bilden. Und das werden wir sehen.

Inzwischen haben wir den Beweis, dass die kommunistische Idee sich nicht bloß einiger Individuen bemächtigt hätte, sondern auch ganzer Körperschaften, und zwar der unterrichtetsten wie der einflussreichsten. Als die Jesuiten in Paraguay eine gesellschaftliche Ordnung begründen wollten, was waren es da für Pläne, die ihnen ihre seitherigen Studien eingaben? Die des Minos, Plato und Lykurg. Sie verwirklichten den Kommunismus, der seinerseits nicht ermangelte, seine traurigen Folgen zu verwirklichen. Die Indianer kamen um einige Grade unter den Zustand der Wilden herunter. Doch so eingewurzelt war das Vorurteil der Europäer zu Gunsten der kommunistischen, immer als das Muster der Vollkommenheit dargestellten Institutionen, dass man von allen Seiten das Glück und die Tugend dieser, unter dem Hirtenstab der Jesuiten vegetierenden Wesen ohne Namen (denn es waren nicht mehr Menschen) pries.

Haben Rousseau, Mably, Montesquieu, Raynal, diese großen Lobredner der Missionen, die Tatsachen untersucht? Keineswegs. Können die griechischen und lateinischen Schriften trügen? Kann man irre gehen, wenn man Plato zum Führer nimmt? Also, die Indianer von Paraguay waren glücklich oder sollten es sein, bei Strafe gegen alle Regeln elend zu sein. Azara, Bougainville und andere Reisende segelten unter dem Einfluss dieser Vorurteile ab, um alle diese Wunder anzustaunen. Anfangs trat ihnen die traurige Wirklichkeit umsonst vor Augen, sie konnten nicht daran glauben. Dennoch mussten sie sich durch die Evidenz überzeugen lassen und zuletzt bestätigten sie, zu ihrem großen Bedauern, dass der Kommunismus ein verführerischer Traum und eine entsetzliche Wirklichkeit ist.

Die Logik ist unerbittlich. Es ist wohl klar, dass die Schriftsteller, die ich eben angeführt habe, es nicht gewagt haben, ihre Lehre bis zum Ende zu führen. Mably und Brissot nehmen es auf sich, diese Inkonsequenz wieder gut zu machen. Als wahre Platoniker predigten sie offen die Güter- und Weibergemeinschaft, und zwar, beachten wir es wohl, indem sie sich unaufhörlich auf die Beispiele und die Lehren dieses schönen Altertums, welches alle Welt zu bewundern übereingekommen ist, beriefen.

So war zu Familie, Eigentum, Freiheit und Gesellschaft der Zustand, in welchen die durch den Klerus gewährte Erziehung die öffentliche Meinung in Frankreich gebracht hatte, als die Revolution ausbrach. Sie lässt sich ohne Zweifel durch Ursachen, welche dem klassischen Unterricht fremd sind, erklären. Darf man aber zweifeln, dass dieser Unterricht eine Menge falsche Ideen, rohe Gesinnungen, subversive Utopien, unselige Experimente eingebracht hat? Man lese die in der gesetzgebenden Versammlung und im Konvent gehaltenen Reden. Es ist die Sprache Rousseaus und Mablys. Es sind nur Personifikationen, Anrufungen, Anreden an Fabricius, Cato, die beiden Brutus, die Gracchen, Catilina. Will man eine Unmenschlichkeit begehen, so findet man immer zu ihrer Verherrlichung das Beispiel eines Römers. Was die Erziehung dem Geist eingegeben hat, geht in die Handlungen über. Es ist anerkannt, dass Sparta und Rom Vorbilder sind, also muss man ihnen nachahmen oder sie parodieren. Der eine will die Olympischen Spiele einrichten, der andere die Agrargesetze und ein Dritter die schwarze Suppe auf den Straßen.

Ich kann nicht daran denken, hier diese Frage erschöpfend zu behandeln, die wohl wert ist, dass eine geübte Hand mehr als eine Flugschrift darauf verwendet: „Über den Einfluss der griechischen und lateinischen Literatur auf den Geist unserer Revolution.“ Ich muss mich auf einige Skizzen beschränken.

Zwei große Gestalten beherrschen die Französische Revolution und scheinen sie zu personifizieren: Mirabeau und Robespierre. Wie war ihre Lehre zum Eigentum?

Wir haben gesehen, dass die Völker, welche im Altertum ihre Mittel der Existenz auf Raub und Sklaverei gründeten, das Eigentum nicht an sein wahres Prinzip knüpfen konnten. Sie waren genötigt, es wie eine Sache des Übereinkommens zu betrachten und sie ließen es auf dem Gesetz beruhen, welches gestattet, die Sklaverei und den Diebstahl dabei zuzulassen, wie die Rollin so naiv auseinandersetzt.

Rousseau hatte auch gesagt:  „Das Eigentum rührt von Übereinkunft und menschlicher Einrichtung her, während die Freiheit ein Geschenk der Natur ist.“

Mirabeau sprach dieselbe Lehre aus:

Das Eigentum, sagt er, ist eine gesellschaftliche Schöpfung. Die Gesetze beschützen und halten es nicht allein aufrecht, sie lassen es auch entstehen, sie bestimmen es, sie geben ihm den Rang und den Umfang, den es unter den Rechten der Bürger einnimmt.

Und wenn Mirabeau sich so aussprach, so geschah es nicht, um eine Theorie aufzustellen. Seine wirkliche Absicht war, den Gesetzgeber zu veranlassen, die Ausübung eines Rechtes zu beschränken, worüber er wohl verfügen konnte, weil er es geschaffen hatte.

Robespierre wiederholte die Definitionen Rousseaus.

Indem wir die Freiheit, dieses erste Bedürfnis des Menschen, das heiligste der Rechte, welches er von der Natur erhalten hat, definierten, sagten wir mit Grund, dass es als Grenze das Recht anderer hat. Warum habt Ihr dies Prinzip nicht auf das Eigentum, welches eine gesellschaftliche Institution ist, angewendet, als wenn die Gesetze der Natur weniger unverletzbar wären, als die Übereinkünfte der Menschen.

Nach diesem Eingang geht Robespierre zu der Definition über.

Das Eigentum ist das Recht, welches jeder Bürger hat, die Güter, welche ihm durch das Gesetz verbürgt sind zu genießen und zu gebrauchen.

Das ist der sehr starke Gegensatz zwischen Freiheit und Eigentum. Es sind zwei Rechte verschiedenen Ursprungs. Das eine kommt von der Natur, das andere ist gesellschaftliche Setzung. Das erste ist natürlich, das zweite vertragsmäßig.

Wer macht nun das Gesetz? Der Gesetzgeber. Er kann also für die Ausübung des Rechts des Eigentums, da er dies Recht verleiht, die Bedingungen, die ihm belieben, stellen.

Robespierre beeilt sich auch, aus seiner Definition das Recht auf Arbeit, das Recht auf Unterstützung und die progressive Steuer herzuleiten.

Die Gesellschaft ist verpflichtet, für den Unterhalt aller ihrer Mitglieder zu sorgen, sei es, indem sie ihnen Arbeit verschafft, sei es, indem sie die Mittel der Existenz denen sichert, welche außer Stande sind zu arbeiten.
Die notwendigen Unterstützungen für die Armut sind eine Schuld des Reichen gegen den Armen. Es kommt dem Gesetz zu, die Weise zu bestimmen, wie diese Schuld abgetragen werden soll.
Die Bürger, deren Einnahmen nicht dasjenige, was zu ihrem Unterhalt nötig ist, übersteigen, sind von Beiträgen zu den öffentlichen Ausgaben befreit. Die anderen müssen sie in progressiver Weise, nach Maßgabe ihres Vermögens, bestreiten.

Robespierre, sagt Herr Sudre, nahm so alle Maßregeln an, welche nach dem Geist ihrer Erfinder so wie in der Wirklichkeit den Übergang vom Eigentum zum Kommunismus bilden. Durch die Umsetzung von Platos Abhandlung über die Gesetze kam er, ohne es zu wissen, zur Verwirklichung des Gesellschaftszustandes, der in dem Buche über die Republik beschrieben ist.

(Bekanntlich hat Plato zwei Bücher geschrieben: das eine, um die ideale Vollkommenheit — Gütergemeinschaft und Weibergemeinschaft — zu beschreiben, nämlich das Buch über die Republik, das andere, um die Übergangsmittel zu lehren, nämlich die Abhandlung über die Gesetze.)

Robespierre kann zudem als ein Bewunderer des ruhigen, friedlichen und reinen Altertums angesehen werden. Selbst seine Rede über das Eigentum ist voll von Deklamationen solcher Art: „Aristides hätte die Schätze des Crassus nicht beneidet! Die Hütte des Fabricius hat den Palast des Crassus nicht zu beneiden!“ usw.

Sobald Mirabeau und Robespierre einmal dem Gesetzgeber im Prinzip die Befugnis zuschrieben, die Grenze des Rechts auf Eigentum festzusetzen, so kommt wenig darauf an, auf welcher Stufe sie es angemessen erachteten, diese Grenze zu setzen. Es konnte ihnen zusagen, nicht weiter zu gehen als bis zu dem Recht auf Arbeit, dem Recht auf Unterstützung und der progressiven Steuer.  Aber andere, die konsequenter waren, blieben dabei nicht stehen. Wenn das Gesetz, welches das Eigentum schafft und darüber verfügt, einen Schritt nach der Gleichheit hin tun kann, warum tut es nicht zwei Schritte dahin? Warum verwirklichte es nicht die absolute Gleichheit?

So ging Saint-Just weiter als Robespierre, das musste geschehen, und Babeuf weiter als Saint-Just, das musste auch geschehen. Auf diesem Wege gab es nur eine vernünftige Grenze. Sie ist von dem göttlichen Plato gesteckt worden.

Saint-Just … doch ich halte mich zu sehr bei der Frage des Eigentums auf. Ich vergesse, dass ich beweisen wollte, wie die klassische Erziehung alle moralischen Begriffe verkehrt hat. Überzeugt, dass der Leser mir wohl auf mein Wort glauben wird, wenn ich versichere, dass Saint-Just auf dem Wege des Kommunismus weiter gegangen ist, als Robespierre, kehre ich zu meinem Gegenstand zurück.

Zunächst muss man wissen, dass die Irrtümer Saint-Justs sich an die klassischen Studien knüpften. Gleich allen Menschen seiner und unserer Zeit, war er vom Altertum erfüllt. Er hielt sich für einen Brutus. Von seiner Partei aus Paris verbannt, schrieb er:

O Gott! Muss Brutus hinsiechen, vergessen, fern von Rom! Mein Entschluss ist indessen gefasst, und wenn Brutus nicht die anderen tötet, so wird er sich selbst töten.

Töten! es scheint, als wenn dies hienieden die Bestimmung des Menschen wäre.

Alle Hellenisten und Latinisten sind einig, dass das Prinzip einer Republik die Tugend ist, und Gott weiß, was sie unter diesem Wort verstehen. Deshalb schrieb Saint-Just:

Eine republikanische Regierung hat die Tugend zum Prinzip, wo nicht den Schrecken.

Eine andere im Altertum herrschende Meinung besteht darin, dass die Arbeit ehrlos ist. Auch Saint-Just verurteilte sie mit diesen Worten:

Ein Handwerk verträgt sich schlecht mit einem wahren Bürger. Die Hand des Menschen ist nur für den Boden und die Waffen gemacht.

Und damit Niemand sich dazu erniedrigen könnte, ein Handwerk zu betreiben, wollte er die Ländereien unter alle verteilen.

Wir haben gesehen, dass nach den Ideen der Alten der Gesetzgeber das für die Menschen ist, was der Töpfer für den Ton ist. Unglücklicherweise will, wenn diese Idee herrscht, niemand Ton sein und jeder will Töpfer sein. Man kann sich wohl denken, dass Saint-Just sich die schöne Rolle zuteilte.

An dem Tage, wo ich mich überzeugt haben werde, dass es unmöglich ist, den Franzosen sanfte, für die Tyrannei und die Ungerechtigkeit empfindliche und unerbittliche Sitten zu geben, werde ich mir den Dolch ins Herz stoßen.

Wenn bei ihnen Sitten herrschten, so würde alles gut gehen; man bedarf Institutionen, um sie zu veredeln. Um die Sitten zu bessern, muss man damit anfangen, das Bedürfnis und das Interesse zu befriedigen. Man muss allen etwas Land geben.

Die Kinder werden in jeder Jahreszeit in Leinen gekleidet. Sie liegen auf Matten und schlafen acht Stunden. Sie werden in Gemeinschaft ernährt und leben nur von Wurzeln, Früchten, Gemüsen, Brot und Wasser. Fleisch können sie erst vom sechzehnten Lebensjahr an genießen.

Die Männer von fünfundzwanzig Jahren werden gehalten sein, alle Jahre in dem Tempel die Namen ihrer Freunde anzugeben. Derjenige, welcher seinen Freund ohne hinreichenden Grund verläßt, wird des Landes verwiesen.

So schreibt sich Saint-Just selbst nach dem Beispiele des Lykurg, Plato, Fenelon, Rousseau über die Sitten, die Gesinnungen, das Vermögen und die Kinder der Franzosen mehr als Rechte und Macht zu, als alle Franzosen zusammen haben. Wie klein ist die Menschheit neben ihm, oder vielmehr sie lebt nur in ihm. Sein Kopf ist der Kopf und sein Herz ist das Herz der Menschheit.

Das also ist die der Revolution durch den griechisch-römischen Konventionalismus gegebene Richtung. Plato hat das Ideal gezeichnet. Priester und Laien machen sich im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert daran, dies Wunder zu feiern. Nun kommt die Stunde des Handelns: Mirabeau steigt die erste Stufe herunter, Robespierre die zweite, Saint-Just die dritte, Antonelle die vierte und Babeuf, logischer als alle seine Vorgänger, stellt sich auf die letzte, den absoluten Kommunismus, den reinen Platonismus. Ich sollte hier seine Schriften anführen; ich will mich darauf beschränken zu sagen, denn dies ist charakteristisch, dass er Gaius Gracchus unterschrieb.

Der Geist der Revolution, in dem Gesichtspunkt, der uns beschäftigt, läßt sich vollständig aus einigen Anführungen entnehmen. Was wollte Robespierre? „Die Geister auf die Höhe der republikanischen Tugenden der alten Völker erheben.“ (23. Nivose Jahres III.) Was wollte Saint-Just? „Uns das Glück Spartas und Athens bieten.“ (23. Nivose Jahres III.)
Er wollte außerdem, „dass alle Bürger den Dolch des Brutus unter ihrem Kleide trügen.“ (Ebendaselbst.) Was wollte der blutgierige Carrier? „Dass die ganze Jugend künftig auf die glühenden Kohlen des Scaevola, den Giftbecher des Sokrates, den Tod des Cicero und das Schwert des Cato blickte.“ Was wollte Rabaut Saint-Etienne? „Dass nach den Grundsätzen der Spartaner, der Staat sich des Menschen von der Wiege an selbst vor der Geburt bemächtigte.“ (16. Dezember 1792.) Was wollte die Sektion der Quinze-Vingts? „Dass man der Freiheit eine Kirche weihte und einen Altar errichtete, auf welchem ein ewiges, von jungen Vestalinnen unterhaltenes Feuer brennt.“ (21. November 1794.) Was wollte der ganze Konvent? „Dass unsere Gemeinden nur Brutusse und Publicolas enthalten.“ (19. März 1794.)

Alle diese Sektierer waren indessen ehrlich und sie waren um so gefährlicher; denn die Aufrichtigkeit im Irrtum ist Fanatismus, und der Fanatismus ist eine Macht, besonders wenn er auf Massen wirkt, die vorbereitet sind, sich seinem Wirken zu unterwerfen. Der allgemeine Enthusiasmus zu Gunsten eines sozialen Vorbildes kann nicht immer unfruchtbar sein, und die öffentliche Meinung, aufgeklärt oder irre geleitet, ist deshalb nicht weniger die Königin der Welt. Wenn eine dieser fundamentalen Verirrungen — wie die Verherrlichung des Altertums — die durch den Unterricht mit dem ersten Dämmern der Einsicht in alle Köpfe eindringt, sich dort auf den Stand des Konventionalismus festsetzt, so strebt sie, von Gedanken zu Taten überzugehen. Dann möge eine Revolution die Stunde der Versuche schlagen lassen, und wer kann sagen, unter welchem furchtbaren Namen der, welcher hundert Jahre früher sich Fenelon nennen ließ, erscheinen wird? Er hatte seine Idee in einen Roman niedergelegt; er stirbt für dieselbe auf dem Schafott; der war Dichter gewesen, er macht sich zum Märtyrer; er hatte die Gesellschaft unterhalten, er richtet sie zu Grunde.

Indessen gibt es in der Wirklichkeit eine Macht, die stärker ist, als der allgemeinste Konventionalismus. Wenn die Erziehung ein verderbliches Samenkorn in den gesellschaftlichen Körper gelegt hat, so liegt darin auch eine Kraft der Selbsterhaltung, vis medicatrix, welche bewirkt, dass er sich zuletzt unter Leiden und Tränen des tödlichen Keims entledigt.

Sobald nun der  Kommunismus die Gesellschaft hinreichend in Schrecken gesetzt und in Gefahr gebracht hatte, musste unfehlbar eine Reaktion eintreten. Frankreich fing an zum Despotismus zurückkehren. In seinem Eifer hatte es selbst die legitimen Eroberungen der Revolution gering geachtet. Es bekam das Konsulat und das Kaisertum. Aber ach! brauche ich darauf aufmerksam zu machen, dass das Römische Vorurteil ihm auf diese neue Phase folgte? Das Altertum muss immer alle Formen der Gewalt rechtfertigen. von Lykurg an bis auf Caesar, wie viele Muster lagen zur Auswahl vor! Also, — und ich bediene mich hier der Rede des Herrn Thiers, — „nachdem wir Athener mit Voltaire gewesen waren, einen Augenblick Spartaner unter dem Konvent hatten sein wollen, machten wir uns unter Napoleon zu Soldaten des Caesar.“  Kann man das Gepräge verkennen, welches unserer Vorliebe für Rom auf dieser Epoche zurückgelassen hat? Ach Gott! dies Gepräge ist überall. Es ist in den Gebäuden, in den Monumenten, in der Literatur, selbst in den Moden des kaiserlichen Frankreichs; es ist in den lächerlichen Namen, welche allen unseren Institutionen beigelegt wurden. Es ist ohne Zweifel nicht Zufall, dass wir Konsuln, einen Kaiser, Senatoren, Tribunen, Präfekten, Senatskonsuln, Adler, Trajanische Kolonnen, Legionen, Marsfelder, Prytaneen, Lyzeen überall auftauchen sahen.

Der Kampf zwischen den revolutionären und den konterrevolutionären Prinzipien schien in den Julitagen 1830 sich endigen zu sollen. Seit dieser Epoche haben sich die intellektuellen Kräfte dieses Landes dem Studium der sozialen Fragen zugewendet, was an sich nur natürlich und nützlich ist. Unglücklicherweise gibt die Universität der Bewegung des menschlichen Geistes den ersten Anstoß und leitet ihn noch nach den vergifteten Quellen des Altertums hin; so dass unser unglückliches Vaterland damit genötigt wird, seine Vergangenheit wieder zu beginnen und dieselben Versuche durchzumachen. Es scheint, als wenn es verdammt wäre, sich in diesem Kreise zu drehen: Utopie, Experimentieren, Reaktion. — Literarischer Platonismus, revolutionärer Kommunismus, militärischer Despotismus, — Fenelon, Robespierre, Napoleon! — Kann es damit anders sein? Die Jugend, woraus sich die Literatur und der Journalismus rekrutieren, anstatt zu suchen, die natürlichen Gesetze der Gesellschaft zu entdecken und darzustellen, beschränkt sich darauf, das griechisch-römische Axiom: Die gesellschaftliche Ordnung ist eine Schöpfung des Gesetzgebers, im Unterbau nachzubessern. Beklagenswerter Ausgangspunkt, der der Einbildungskraft eine Bahn ohne Grenzen eröffnet und nur ein ewiges Gebären des Sozialismus ist. —
Denn, wenn die Gesellschaft eine Erfindung ist, wer will nicht der Erfinder sein? Wer will nicht Minos sein oder Lykurg oder Plato, oder Numa, oder Fenelon oder Robespierre, oder Babeuf, oder Saint-Simon, oder Fourier, oder Louis Blanc oder Proudhon? Wer findet es nicht ruhmwürdig, ein Volk zu stiften? Wer weidet sich nicht an dem Titel Vater der Nationen? Wer strebt nicht dahin, die Familie und das Eigentum wie chemische Elemente zu verbinden?

Um aber seiner Phantasie nicht bloß in den Spalten eines Journals Lauf zu lassen, muss man die Macht besitzen, muss man den Mittelpunkt, wo alle Fäden der öffentlichen Gewalt zusammenlaufen, innehaben. Das ist die unerlässliche Vorbedingung alles Experimentierens. Jede Sekte, jede Schule wird also alle ihre Kräfte anstrengen, um die herrschende Schule oder Sekte von der Regierung zu verdrängen, so dass unter dem Einfluss des klassischen Unterrichts das gesellschaftliche Leben nur eine nie endende Reihe von Kämpfen und  Revolutionen sein kann, welche die Frage zum Ziel haben, welcher Utopist die Macht haben wird, mit dem Volk, wie mit einem gemeinen Stoff, Versuche anzustellen!

Ja, ich klage das Baccalaureat an, dass es die ganze französische Jugend, wie zum Vergnügen, zu sozialistischen Utopien, zu gesellschaftlichen Experimenten vorbereitet. Und darin liegt ohne Zweifel der Grund eines sehr auffallenden Phänomens, nämlich der Ohnmacht, den Sozialismus zu widerlegen, die selbst diejenigen, welche sich davon bedroht glauben, offenbaren. Männer der Bourgeoisie, Eigentümer, Kapitalisten, die Systeme des Saint-Simon, Fourier, Louis Blanc, Leroux, Proudhon sind doch nur Doktrinen. Sie sind falsch, sagt Ihr. Warum widerlegt Ihr sie nicht? Weil Ihr aus demselben Kelch getrunken habt; weil der Umgang mit den Alten, weil Eure herkömmliche Vorliebe für alles, was griechisch oder römisch ist, Euch den Sozialismus eingeimpft hat.

Zuviel davon hat Eure Seele eingeatmet.

Euer Gleichmachen des Vermögens durch Zollpolitik, Euer Unterstützungsgesetz, Euer Verlangen nach unentgeltlichem Unterricht, Eure Förderungsprämien, Eure Zentralisation, Euer Bauen auf den Staat, Eure Literatur, Euer Theater, alles bezeugt, dass Ihr Sozialisten seid. Ihr unterscheidet Euch von den Aposteln durch den Grad, aber Ihr steht auf demselben Abhang. Deshalb, wenn Ihr Euch überholt fühlt, anstatt zu widerlegen — was Ihr nicht zu tun wisst, und was Ihr nicht könntet, ohne Euch selbst zu verdammen, — ringt Ihr die Hände, rauft Euch die Haare, beklagt Euch über Unterdrückung und sagt jämmerlicher Weise: Frankreich geht zu Grunde!

Nein, Frankreich geht nicht zu Grunde. Denn seht, was geschieht: Während Ihr Euch unfruchtbaren Klagen hingebt, widerlegen sich die Sozialisten selbst. Ihre Gelehrten sind in offenem Krieg. Das Phalanstere ist dabei gefallen; die Triade ist dabei gefallen; die Genossenschaftswerkstätte ist dabei gefallen; Euer Gleichmachen der Stellungen durch das Gesetz wird dabei fallen. Was bleibt noch stehen? Der unentgeltliche Kredit. Warum beweist Ihr nicht die Ungereimtheit desselben? Ach! Ihr selbst habt ihn erfunden. Ihr habt ihn tausend Jahre lang gepredigt. Wenn Ihr die Zinsen nicht habt unterdrücken können, so habt Ihr Verordnungen darüber erlassen. Ihr habt sie einem Maximum unterworfen, indem Ihr so glauben machtet, dass das Eigentum eine Schöpfung des Gesetzes ist, was eben die Idee des Plato, Lykurg, Fenelon, Rollin, Robespierre ist; was, ich nehme keinen Anstand, es zu behaupten, das Wesen und der Kern nicht bloß des Sozialismus sondern auch des Kommunismus ist. Rühmt mir also nicht einen Unterricht, der Euch von dem, was Ihr wissen solltet, nichts gelehrt, hat, und der Euch vor der ersten Chimäre, welche einem Narren auszudenken beliebt, verblüfft und stumm macht. Ihr seid nicht im Stande, die Wahrheit dem Irrtum entgegenzustellen; lasst wenigstens die Irrtümer sich untereinander zu Grunde richten. Hütet Euch, den Utopisten den Mund zu schließen und so ihre Propaganda auf das Podest der Verfolgung zu erheben. Der Geist der arbeitenden Massen, wenigstens der mittleren Klassen, hat sich auf die großen sozialen Fragen geworfen. Er wird sie lösen. Er wird dahin gelangen, für die Worte: Familie, Eigentum, Freiheit, Gerechtigkeit, Gesellschaft, andere Definitionen zu finden, als diejenigen, welche uns Euer Unterricht gibt. Er wird  nicht allein den Sozialismus, welcher sich als solcher bekennt, sondern auch den Sozialismus, der sich seiner nicht bewusst ist, besiegen. Abtun wird er Eure künstliche Einheit, Euer Schutzsystem, Eure offizielle Philanthropie, Eure Wuchergesetze, Eure barbarische Diplomatie, Euren monopolisierten Unterricht.

Und deshalb sage ich: Nein, Frankreich wird nicht zu Grunde gehen. Es wird glücklicher, aufgeklärter, geordneter, größer, freier, sittlicher, religiöser, als Ihr es gemacht habt, aus dem Kampf hervorgehen.

Beachtet aber doch gefälligst dies: Wenn ich mich gegen die klassischen Studien erhebe, so verlange ich nicht, dass sie verboten werden; ich verlange nur, dass sie nicht aufgezwungen werden. Ich dringe nicht in den Staat, um ihm zu sagen: Unterwirf alle Welt meiner Meinung, sondern vielmehr: Beuge mich nicht unter die Meinung anderer. Der Unterschied ist groß und es möge in dieser Beziehung kein Irrtum obwalten.

Herr Thiers, Herr von Rancey, Herr von Montalembert, Herr Varthelemy Saint-Hilaire glauben, dass die römische Atmosphäre vortrefflich sei, um das Herz und den Geist der Jugend zu bilden. Gut. Mögen sie ihre Kinder dem aussetzen; ich gestatte es ihnen. Aber mögen sie mir auch gestatten, die meinigen davon wie von einer verpesteten Luft fern zu halten. Ihr Herren Reglementsmacher, das was Euch vorzüglich vorkommt, erscheint mir verhasst; das, was Euer Gewissen beruhigt, beunruhigt das meinige. Wohlan! folgt Euren Eingebungen, aber lasst mich den meinigen folgen. Ich zwinge Euch nicht, warum wollt Ihr mich zwingen?

Ich seid vollkommen überzeugt, dass in sozialer und moralischer Beziehung das Ideal in der Vergangenheit liegt. Ich für meinen Teil sehe es in der Zukunft. „Sagen wir es, sagte Herr Thiers, einem auf sich selbst stolzen Jahrhundert, das Altertum ist das Schönste, was es auf der Welt gibt.“ Was mich betrifft, so bin ich glücklich, diese trostlose Meinung nicht zu teilen. Ich sage trostlos, denn sie schließt in sich , dass durch ein verhängnisvolles Gesetz die Menschheit unaufhörlich sich verschlechtert. Ihr setzt die Vollkommenheit an den Anfang der Zeiten, ich setze sie an das Ende. Ich haltet die Gesellschaft für zurückschreitend, ich halte sie für vorwärtsschreitend. Ihr glaubt, dass unser Meinungen, unsere Ideen, unsere Sitten soviel wie möglich in die antike Form gegossen werden müssen; wie ich auch die gesellschaftliche Ordnung Spartas und Roms studiere, so sehe ich doch nur Gewaltsamkeiten, Ungerechtigkeiten, Lügen, ewige Kriege, Sklaverei, Schändlichkeiten, falsche Politik, falsche Moral, falsche Religion. Was Ihr bewundert, verabscheue ich. Doch mit einem Wort, folgt Eurem Urteil und lasst mir das meine. Wir sind hier nicht Advokaten, der eine für den klassischen Unterricht und der andere dagegen streitend vor einer Versammlung, die zu entscheiden hat, indem sie meinem oder Eurem Gewissen Gewalt antut. Ich verlange von dem Staat nur seine Neutralität. Ich verlange die Freiheit ebenso für Euch wie für mich. Ich habe wenigstens vor Euch den Vorteil der Unparteilichkeit, der Mäßigung und der Bescheidenheit voraus.

Drei Quellen des Unterrichts liegen vor uns: die des Staats, die des Klerus, der der angeblich freien Lehrer.

Was ich verlange, besteht darin, dass diese in der Wirklichkeit die Freiheit haben, neue und fruchtbare Methoden zu versuchen. Möge die Universität lehren, was sie liebt, das Griechische und das Lateinische; möge der Klerus lehren, was er weiß, das Griechische und das Lateinische. Mögen beide Platoniker und Tribunen machen; aber mögen sie uns nicht hindern, durch andere Erfahrungsweisen Männer für unser Land und für unser Jahrhundert zu bilden.

Denn, wenn diese Freiheit uns untersagt ist, welcher bittere Hohn liegt nicht darin, wenn man uns jeden Augenblick sagt: Ihr seid frei!

In der Sitzung vom 23. Februar hat Herr Thiers zum vierten Mal gesagt:

Ich werde ewig wiederholen, was ich gesagt habe: Die Freiheit, die das Gesetz, welches wir abgefasst haben gibt, ist die Freiheit nach der Verfassung.
Ich fordere Euch auf, zu beweisen, dass es anders ist. Beweist mir, dass dies nicht die Freiheit ist; was mich betrifft, so behaupte ich, dass eine andere nicht möglich ist.
Ehemals konnte man ohne die Erlaubnis der Regierung nicht unterrichten. Wir haben die notwendige Genehmigung abgeschafft; jedermann wird unterrichten können.
Ehemals sagte man: Lehrt dieses, lehrt dieses nicht. Heute sagen wir: Lehrt alles, was Ihr lehren wollt.

Es ist schmerzlich, wenn man eine solche Aufforderung vernimmt und dabei zum Schweigen verurteilt ist. Wenn die Schwäche meiner Stimme mich nicht von der Tribüne zurückhielte, so würde ich Herrn Thiers geantwortet haben:

Sehen wir doch, worauf sich auf Seiten des Lehrers, des Familienvaters und der Gesellschaft diese Freiheit, die Du so vollständig nennst, beschränkt.

Auf Dein Gesetz gestützt, gründe ich eine Lehranstalt. Mit dem Betrag der Pension muss ich ein Lokal kaufen oder mieten, für der Nahrung der Zöglinge sorgen und die Lehrer bezahlen. Aber neben meiner Anstalt besteht ein Lyzeum. Es braucht sich um das Lokal und den Lehrer nicht kümmern. Die Steuerpflichtigen, mich eingeschlossen, tragen die Kosten dafür. Es kann also den Beitrag für die Pension so niedrig setzen, dass es meine Unternehmung unmöglich macht. Ist das Freiheit? Ein Ausweg bleibt mir indessen, nämlich einen Unterricht zu bieten, der so viel besser ist, als der Deinige, der vom Publikum so viel gesuchter ist, dass es sich an mich wendet, trotz der verhältnismäßigen Kostspieligkeit, wozu du mich nötigst. Aber hier begegne ich Dir und Du sagst mir: Lehre was Du willst, aber wenn Du von meinem Schlendrian abweichst, werden alle liberalen Laufbahnen Deinen Zöglingen verschlossen sein. Ist das Freiheit?

Nun will ich annehmen, ich wäre Familienvater; ich bringe meine Söhne in ein freies Institut; in welche Lage komme ich da? Als Vater bezahle ich die Erziehung meiner Kinder, ohne dass mir Jemand dabei zu Hilfe kommt; als Steuerpflichtiger und als Katholik bezahle ich die Erziehung der Kinder anderer, denn ich kann die Steuer zur Unterhaltung der Lyzeen nicht verweigern, kann auch zur Zeit der Fasten kaum umhin, in die Mütze des Bettelmönchs einen Beitrag zur Unterhaltung der Seminarien zu werfen. Doch dazu bin ich wenigstens nicht gezwungen. Aber ist es ebenso in Betreff der Steuer? Nein, nein, sage, dass Du Solidarität, im sozialistischen Sinn, schaffst, aber behaupte nicht, dass Du Freiheit schaffst.

Und das ist nur die sehr kleine Seite der Frage. Es gibt noch eine ernstere. Ich gebe dem freien Unterrichte den Vorzug, weil Dein offizieller Unterricht (wozu Du mich zwingst beizutragen, ohne dass ich davon Vorteil ziehe) mir kommunistisch und heidnisch erscheint; mein Gewissen widerstrebt dem, dass meine Söhne spartanische und römische Ideen, die wenigstens in meinen Augen nur die verherrlichte Gewalt und Räuberei sind, in sich aufnehmen. In Folge dessen unterwerfe ich mich, die Pension für meine Söhne und die Steuern für die Söhne anderer zu bezahlen. Aber was finde ich nun? Ich finde, dass Dein mythologischer und kriegerischer Unterricht mittelbar der freien Lehranstalt aufgedrängt wird durch den sinnreichen Mechanismus Deiner Abschlüsse, und dass ich mein Gewissen vor Deinen Ansichten beugen muss, bei Strafe, meine Kinder zu Parias der Gesellschaft zu machen. — Du hast mir viermal gesagt, dass ich frei wäre. Du könntest es mir hundertmal sagen und ich würde Dir hundertmal erwidern: Ich bin es nicht.

Seid inkonsequent, da Ihr es nicht vermeiden könnt, und ich gebe Euch zu, dass Ihr bei dem gegenwärtigen Stande der öffentlichen Meinung die offiziellen Lehranstalten nicht schließen könnt. Aber setzt Eurer Inkonsequenz eine Grenze. Beklagt Ihr Euch nicht täglich über den Geist der Jugend? Über ihre sozialisten Tendenzen? Über ihre Abneigung gegen religiöse Ideen? Über ihre Leidenschaft für kriegerische Unternehmungen, eine Leidenschaft, die so weit geht, dass es in unseren beratenden Versammlungen kaum gestattet ist, das Wort Frieden auszusprechen, und man die sinnreichsten oratorischen Wendungen anwenden muss, um von Gerechtigkeit zu sprechen, wenn es um das Ausland geht. So beklagenswerte Gesinnungen haben ohne Zweifel eine Ursache. Wäre es, strenge genommen, nicht möglich, dass Euer mythologischer, platonischer, kriegerischer und faktiöser Unterricht hierbei von einiger Bedeutung ist? Ich sage indessen nicht, dass Ihr ihn verändern sollt, das wäre zu viel von Euch verlangt. Aber ich sage Euch: Da Ihr neben Euren Lyzeen und unter schon sehr schwierigen Bedingungen, sogenannte freie Schulen entstehen lasst, gestattet ihnen, auf ihre eigene Gefahr, die christlichen und wissenschaftlichen Bahnen zu versuchen. Es lohnt sich schon, den Versuch zu machen. Wer weiß? Vielleicht wäre er ein Fortschritt. Und Ihr wollt ihn im Keim ersticken!

Endlich, prüfen wir die Frage in Bezug auf die Gesellschaft und beachten wir gleich, wie ungewöhnlich es sein würde, wenn die Gesellschaft hinsichtlich des Unterrichts frei wäre, wo die Lehrer und die Familienväter es nicht sind.

Der erste Satz des Berichts des Herrn Thiers vom Jahre 1844 über den Sekundärunterricht sprach die schreckliche Wahrheit aus:

Die öffentliche Erziehung ist vielleicht das größte Interesse einer zivilisierten Nation, und aus diesem Grunde der größte Gegenstand des Ehrgeizes der Parteien.

Hieraus muss man, wie es scheint, den Schluß ziehen, dass eine Nation, die nicht die Beute der Parteien werden will, eilen muss, die öffentliche Erziehung, nämlich die Erziehung durch den Staat zu beseitigen und die Freiheit des Unterrichts auszusprechen. Wenn es eine der Gewalt anvertraute Erziehung gibt, so werden die Parteien einen Grund mehr zu dem Streben haben, sich der Gewalt zu bemächtigen, da sich des Unterrichts zu bemächtigen zugleich der größte Gegenstand ihres Ehrgeizes sein wird. Erregt die Sucht zu regieren, nicht schon Lüsternheit genug? Ruft sie nicht genug Kämpfe, Revolutionen und Unordnungen hervor? Und ist es weise, sie noch durch die Lockspeise eines so starken Einflusses aufzureizen?

Und warum streben die Parteien nach der Leitung der Studien? Weil sie das Wort von Leibnitz kennen: „Macht mich zum Meister des Unterrichts, und ich nehme es auf mich, die Gestalt der Welt zu verändern.“ Der Unterricht durch die Gewalt ist also der Unterricht durch eine Partei, durch eine augenblicklich triumphierende Sekte; es ist der Unterricht zum Vorteil einer Idee, eines ausschließlichen Systems. „Wir haben die Republik gemacht“, sagte Robespierre, „es bleibt uns übrig, Republikaner zu machen; “ ein Versuch, der im Jahre 1848 erneuert worden ist. Bonaparte wollte nur Soldaten  machen, Frayssinous nur Betbrüder, Vellemain nur Redekünstler. Herr Guizot würde nur Doktrinäre machen, Enfantin nur Saint-Simonisten und mancher, der ungehalten ist, die Menschheit so herabgewürdigt zu sehen, würde, wenn er jemals in der Lage wäre zu sagen: Der Staat bin ich, vielleicht versucht sein, nur Ökonomen zu machen. Wie! Wird man niemals die Gefahr sehen, den Parteien, je nachdem sie die Gewalt an sich reißen, die Gelegenheit zu bieten, durch die Macht allgemein und gleichförmig ihre Meinungen oder vielleicht ihre Irrtümer aufzudrängen? Denn es heißt wohl die Macht anwenden, wenn man gesetzlich jede andere Idee, als diejenige, von der man selbst eingenommen ist, verbietet.

Eine solche Forderung ist wesentlich monarchistisch, obgleich niemand sie entschiedener kund tut, als die republikanische Partei; denn sei stützt sich auf die Annahme, dass die Regierten für die Regierenden gemacht sind, dass die Gesellschaft der Gewalt gehört, dass erstere von letzterer nach ihrem Bilde geformt werden soll; da doch nach unserem, schwer genug erkämpften, öffentlichen Recht die Gewalt nur ein Ausfluss der Gesellschaft, eine der Offenbarungen ihres Begriffs ist.

Ich meines Teils kann mir, namentlich im Munde der Republikaner, keinen widersinnigeren Kreis falscher Schlüsse denken als diesen: Von Jahr zu Jahr wird sich durch das Getriebe des allgemeinen Stimmrechts das Denken der Nation in den Beamten verkörpern, und hernach werden diese Beamten nach ihrem Belieben das Denken der Nation formen.

Diese Lehre schließt die beiden Behauptungen in sich: Das Denken der Nation ist falsch, das Denken der Regierung ist unfehlbar.

Und wenn es so damit steht, Republikaner, so stellt doch auf ein Mal die Autokratie wieder her, den Unterricht durch den Staat, die Legitimität, das göttliche Recht, die absolute, unverantwortliche und unfehlbare Gewalt, lauter Institutionen, die ein gemeinschaftliches Prinzip haben und derselben Quelle entfließen.

Wenn es auf der Welt einen unfehlbaren Menschen (oder eine unfehlbare Sekte) gibt, so wollen wir ihm nicht allein die Erziehung, sondern auch alle Gewalten überweisen, und damit abgemacht. Wo nicht, so wollen wir uns, so gut wir können, aufklären, nicht aber darauf verzichten.

Jetzt wiederhole ich meine Frage: Verwirklicht in Beziehung auf die Gesellschaft das Gesetz, welches wir erörtern, die Freiheit?

Ehemals gab es eine Universität. Um zu unterrichten, bedurfte man ihrer Erlaubnis. Sie drängte ihre Ideen und ihre Methoden auf, und viel gehörte dazu, darüber hinweg zu kommen. Sie war also nach der Meinung von Leibnitz die Meisterin der Generationen, und deshalb ohne Zweifel bekam ihr Haupt den Titel eines Großmeisters.

Jetzt ist das alles vorbei. Es werden für die Universität nur zwei Vorrechte bleiben:

  1. das Recht zu sagen, was man wissen muss, um die Abschlüsse zu erwerben;
  2. das Recht, unzählige Laufbahnen denjenigen zu verschließen, welche sich nicht gefügt haben.

Das ist beinahe nichts, sagt man. Und ich sage: Dieses nichts ist alles.

Dies nötigt mich, Einiges über ein Wort, welches häufig bei dieser Erörterung ausgesprochen worden ist, zu sagen: nämlich das Wort Einheit; denn viele sehen in dem Baccalaureat das Mittel, allen Geistern eine wenn nicht vernünftige und nützliche, so wenigstens gleichförmige und deshalb gute Richtung zu geben.

Die Bewunderer der Einheit sind sehr zahlreich, und das ist verständlich. Durch Ratschluß der Vorsehung haben wir alle Vertrauen auf unser eigenes Urteil und glauben, dass es auf der Welt nur eine rechte Meinung gibt, nämlich: die unsrige. Wir meinen ferner, dass der Gesetzgeber nichts Besseres tun könnte, als sie allen aufzudrängen, und, der größeren Sicherheit wegen, wollen wir alle dieser Gesetzgeber sein. Aber die Gesetzgeber folgen einer auf den anderen und was geschieht? Bei jeder Veränderung tritt eine Einheit an die Stelle der anderen. Der Unterricht durch den Staat läßt also die Gleichförmigkeit herrschen in Bezug auf jede Periode ganz für sich betrachtet, z.B. den Konvent, das Direktorium, das Kaiserreich, die Restauration, die Juli-Monarchie, die Republik, so findet man wieder die Verschiedenheit, und was noch schlimmer ist, die subversivste aller Verschiedenheiten, diejenige, welche auf dem geistigen Gebiet, wie auf einem Theater nach der Laune der Maschinisten Verwandlungen zur Schau stellt. Werden wir weiter den Geist der Nation, das öffentliche Gewissen zu solchem Grade der Erniedrigung und der Unwürdigkeit herabsinken lassen?

Es gibt zwei Arten von Einheiten. Die eine ist ein Ausgangspunkt. Sie ist durch die Macht aufgedrängt, durch diejenigen, welche augenblicklich die Macht inne haben. die andere ist ein Resultat, die große Vollendung der menschlichen Vervollkommnungsfähigkeit. Sie ergibt sich aus der natürlichen Strebekraft der Geister nach der Wahrheit.

Die erste Einheit hat die Verachtung des Menschengeschlechts zum Prinzip und den Despotismus zum Werkzeug. Robespierre war Einheitsmann, da er sagte: „Ich habe die Republik gemacht, ich will nun Republikaner machen.“ Napoleon war Einheitsmann, da er sagte: „Ich liebe den Krieg und werde alle Franzosen zu Kriegern machen.“ Frayssinous war Einheitsmann, da er sagte: „Ich habe einen Glauben und durch die Erziehung werde ich alle Gewissen diesem Glauben anpassen.“ Prokrustes war Einheitsmann, da er sagte: „Hier ist ein Bett; ich werde jeden, der kürzer oder länger ist, als dasselbe, kürzer machen oder in die Länge ziehen.“ Das Baccalaureat ist ein Einheitsmann, da es sagt: “ Das Leben in der Gesellschaft wird jedem versagt sein, der sich nicht meinem Programm unterwirft.“ Und man behaupte nicht, dass der Hohe Unterrichtsrat alle Jahr dies Programm wird ändern können; denn sicherlich läßt sich kein Umstand denken, der die Sache noch schlimmer machen würde: Was! die ganze Nation wäre also zum Ton herabgewürdigt, den der Töpfer zerbricht, wenn er mit der Form, die er ihm gegeben hat, nicht zufrieden ist?

In seinem Bericht von 1844 zeigte sich Herr Thiers als sehr eifriger Bewunderer dieser Art von Einheit, wobei er nur bedauerte, dass sie mit dem Charakter der modernen Nationen wenig im Einklang sei:

Das Land, wo die Freiheit des Unterrichts nicht herrscht, sage er, wäre dasjenige, wo der Staat, von einem absoluten Willen geleitet, in der Absicht, die Jugend in dieselbe Form zu gießen, sie wie eine Münze mit seinem Bilde zu prägen, keine Verschiedenheit in der Leitung der Erziehung duldete und während mehrerer Jahre die Kinder in derselben Weise kleidete, sie mit derselben Nahrung nährte, sie zu denselben Studien bestimmte, sie denselben Strebungen unterwürfe, sie nach seinen Wünschen bildete usw.
Hüten wir uns, fügte er hinzu, die Forderung des Staates zu lästern, der Nation einen einheitlichen Charakter aufzudrücken und dies als eine Eingebung der Tyrannei zu betrachten. Man könnte im Gegenteil beinahe sagen, dass dieser starke Wille des Staats, alle Bürger nach einem gemeinsamen Muster heranzuziehen, mit dem Patriotismus eines jeden Landes im Verhältnis steht. In den alten Republiken war das Vaterland um so mehr verehrt, um so besser wurde ihm gedient, je größere Anforderungen in Bezug auf die Sitten und den Geist der Bürger es an den Tag legte. .. Und wir, die wir im verflossenen Jahrhundert alle Gestalten der menschlichen Gesellschaft dargestellt haben, wir, die wir, nachdem wir mit Voltaire Athener waren, einen Augenblick unter dem Konvent Spartaner, unter Napoleon Soldaten des Caesar sein wollten, wenn wir einen Augenblick daran gedacht haben, in einer absoluten Weise das Joch des Staats auf die Erziehung zu legen, so war es unter dem National-Konvent im Augenblick der größten patriotischen Begeisterung.

Lassen wir Herrn Thiers Gerechtigkeit widerfahren. Er schlug nicht vor, solchen Beispielen zu folgen. „Man muss, sagte er, ihnen weder nachahmen, noch sie brandmarken. Das wäre Wahnsinn, aber der Wahnsinn des Patriotismus.“

Dennoch zeigt sich Herr Thiers hier nicht weniger dem von ihm ausgesprochenen Urteil treu: „Das Altertum ist das Schönste, was es auf der Welt gibt.“ Er zeigt eine geheime Vorliebe für den absoluten Despotismus des Staats, instinktmäßige Bewunderung für die Institutionen von Kreta und Lakedämon, welche dem Gesetzgeber die Macht gaben, die ganze Jugend in dieselbe Form zu gießen, sie wie eine Münze nach seinem Bilde zu prägen, usw.

Und ich kann nicht umhin, hier, denn das gehört recht zu meiner Aufgabe, auf die Spuren dieses klassischen Konventionalismus hinzuweisen, der uns in dem Altertum das als Tugenden bewundern läßt, was das Resultat der härtesten und unmoralischsten Notwendigkeit war. Diese Alten, die man erhebt, ich kann es nicht zu oft wiederholen, lebten vom Raub und um nichts in der Welt hätten sie ein Handwerkszeug angerührt. Sie hatten das ganze menschliche Geschlecht als Feind. Sie hatten sich zu einem ewigen Kriege verdammt und vor die Alternative gesetzt, immer zu siegen oder unterzugehen. Von da ab gabe es für sie und konnte es für sie nur ein Handwerk geben, das des Soldaten. Das Gemeinwesen musste sich bestreben, bei allen Bürgern die militärischen Eigenschaften gleichförmig zu entwickeln und die Bürger unterwarfen sich der Einheit, welche die Garantie ihrer Existenz war.

Aber was haben diese Zeiten der Barbarei mit den modernen Zeiten Gemeinsames?

Zu welchem ausdrücklichen und recht bestimmten Zweck würde man heute alle Bürger, wie eine Münze mit demselben Bilde prägen? Etwa weil sie sich alle für verschiedene Laufbahnen bestimmen? Worauf würde man sich stützen, um sie in dieselbe Form zu gießen? und wer hat die Form? Furchtbare Frage, die uns nachdenklich machen sollte. Wer hat die Form? Wenn es eine Form gibt (und das Baccalaureat ist eine), so wird jeder den Griff derselben halten wollen, Herr Thiers, Herr Parisis, Herr Barthelemy Saint-Hilaire, ich, die Roten, die Weißen, die Blauen, die Schwarzen. Man wird sich also darum schlagen müssen, um diese vorläufige Frage, die unaufhörlich wieder auftauchen wird, zu erledigen. Ist es nicht einfacher, diese verhängnisvolle Form zu zerschlagen und ehrlich die Freiheit zu proklamieren?

Die Freiheit ist ja der Boden, wo die wahre Einheit keimt, und die Atmosphäre, welche dieselbe befruchtet. Die Konkurrenz hat zur Folge, gute Methoden hervorzubringen und öffentlich und allgemein zu machen, und schlechte auszumerzen. Man muss doch zugestehen, dass der menschliche Geist ein natürlicheres Verhältnis zur Wahrheit als zum Irrtum hat, zu dem, was gut ist, als zu dem, was schlecht ist, zu dem, was nützlich ist, als zu dem, was schädlich ist. Wenn es nicht so wäre, wenn von Natur dem Wahren der Untergang und der Triumph dem Falschen vorbehalten wäre, so wären alle unsere Anstrengungen vergeblich; die Menschheit schritte rettungslos, wie es Rousseau glaubte, in eine unvermeidliche und fortschreitende Verschlechterung. Man müsste mit Herrn Thiers sagen: Das Altertum ist das Schönste, was es auf der Welt gibt, was nicht allein ein Irrtum ist, sondern eine Gotteslästerung. Die recht verstandenen Interessen der Menschen sind harmonisch und das Licht, welches sie dieselben verstehen macht, glänzt mit einem immer lebhafteren Glanz. Die individuellen und gemeinschaftlichen Anstrengungen, die Erfahrung, die Versuche, die Täuschungen selbst, die Konkurrenz, mit einem Wort die Freiheit, lassen also die Menschheit nach dieser Einheit, welche der Ausdruck der Gesetz ihrer Natur  und die Verwirklichung des allgemeinen Wohls ist, hinstreben.

Wie ist es gekommen, dass die liberale Partei in den auffallenden Widerspruch verfallen ist, die Freiheit, die Würde und die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen zu verkennen und dagegen eine künstliche, stationäre, herabwürdigenden, von allen Despotismen nacheinander zu Gunsten der verschiedensten Systeme aufgedrängte Einheit vorzuziehen?

Dafür gibt es mehrere Gründe: zunächst, weil auch sie das römische Gepräge der klassischen Erziehung erhalten hat. Hat sie als Führer nicht Bacheliers? Ferne hofft sie wohl durch die parlamentarischen Wechselfälle dieses kostbare Instrument, diese intellektuelle Form, nach Herrn Thiers, den Gegenstand aller ehrgeizigen Bestrebungen, in ihre Hände fallen zu sehen. Endlich haben die Notwendigkeiten der Verteidigung gegen den ungerechten Angriff Europas im Jahr 1792 nicht wenig dazu beigetragen, die Idee einer mächtigen Einheit in Frankreich populär zu machen.

Aber von allen Beweggründen, welche den Liberalismus bestimmen, die Freiheit aufzuopfern, ist der mächtigste die Furcht, welche ihm bei der Erziehung die Eingriffe des Klerus auslösen.

Diese Furcht teile ich nicht, aber ich begreife sie. Berücksichtigt, sagt der Liberalismus, die Stellung des Klerus in Frankreich, seine gelehrte Hierarchie, seinen starke Disziplin, sein Heer von vierzigtausend Mitgliedern, die sämtlich unverheiratet sind und in jeder Gemeinde des Landes die erste Stelle innehaben, den Einfluß, den er der Natur seiner Funktionen verdankt, den er von dem Wort zieht, welches er ohne Widerspruch und mächtig auf der Kanzel ertönen läßt oder welches er im Beichtstuhl zuflüstert, die Bande, welche ihn durch das Budget des Kultus an den Staat knüpfen, diejenigen, die ihn einem geistlichen Oberhaupt, welches zugleich ein fremder König ist, unterwerfen, die Mitwirkung, die ihm eine eifrige und ergebene Gesellschaft gewährt, die Hilfsmittel, die er in den Almosen, deren Verteiler er ist, findet; berücksichtigt, dass er es als seine erste Pflicht ansieht, sich der Erziehung zu bemächtigen und sagt, ob unter solchen Verhältnissen die Freiheit des Unterrichts nicht eine Schlinge ist.

Man müßte ein dickes Buch schreiben, um diese umfassende Frage und alle diejenigen, die sich daran knüpfen, abzuhandeln. Ich werde mich auf eine Erwägung beschränken und sage:

Unter einem freien Walten ist es nicht der Klerus, welcher den Unterricht unterjochen wird, sondern der Unterricht, welcher den Klerus unterjochen wird. Es ist nicht der Klerus, welcher das Jahrhundert mit seinem Bilde prägen wird, sondern das Jahrhundert, welches den Klerus mit seinem Bilde prägen wird.

Kann man zweifeln, dass der Unterricht, von den Fesseln der Universität befreit und durch den Wegfall der staatlichen Abschlüsse dem klassischen Konventionalismus entzogen, sich unter dem Sporn des Wetteifers auf neue und fruchtbare Bahnen werfen wird? Die freien Erziehungsanstalten, die mühsam zwischen den Lyzeen und Seminarien aufkommen werden, werden die Notwendigkeit fühlen, dem menschlichen Geist seine wahre Nahrung zu reichen, die Wissenschaft von dem, was die Dinge sind, und nicht die Wissenschaft von dem, was man vor zweitausend Jahren von ihnen sagte, zu wissen. „Das Altertum der Zeiten ist die Kindheit der Welt, sagt Baco, und eigentlich ist unsere Zeit weiter nichts, als das Altertum, die Welt, welche im Altwerden Wissen und Erfahrung erworben hat.“ Das Studium der Werke Gottes und der Natur in der sittlichen Ordnung und in der materiellen Ordnung, das ist der wahre Unterricht, derjenige, welcher in den freien Erziehungsanstalten herrschen wird. Die jungen Leute, welche ihn empfangen habe werden, werden sich durch die Kraft der Einsicht, die Sicherheit des Urteils und das Geschick für das praktische Leben den abscheulichen kleinen Rhetoren überlegen zeigen, welche die Universität und der Klerus mit ebenso falschen als verjährten Doktrinen übersättigt haben werden. Während die einen für die sozialen Geschäfte unseres Zeitalters vorbereitet sein werden, werden die andern darauf beschränkt sein, zunächst wo möglich das zu vergessen, was sie gelernt haben, dann aber das zu lernen, was sie wissen müssen. Solchen Ergebnissen gegenüber werden die Familienväter die freien Schulen voller Kraft und Leben diesen anderen Schulen, welche der Sklaverei des Schlendrians erliegen, vorziehen.

Was wird dann geschehen? Der Klerus, immer ehrgeizig, seinen Einfluß zu bewahren, wird selbst kein anderes Hilfsmittel haben, als den Unterricht der Sachen an die Stelle des Unterrichts der Worte, das Studium der positiven Wahrheiten an die Stelle desjenigen der konventionellen Doktrinen und das Wesen an die Stelle des Scheins zu setzen.

Doch, um zu lehren, muss man wissen und um zu wissen, muss man lernen. Der Klerus wird also genötigt sein, die Richtung seiner eigenen Studien zu ändern und ein neuer Geist wird in die Seminare dringen. Glaubt man nun aber, dass eine andere Nahrung nicht auch andere Naturen schaffe? Denn, beachtet dabei, es handelt sich hier nicht allein davon, den Stoff, sondern auch die Methode des klerikalischen Unterrichts zu ändern. Die Kenntnis der Werke Gottes und der Natur wird durch andere geistige Prozesse als diejenige der Theogonien erworben. Die Tatsachen und ihre Verkettung zu beobachten ist etwas; einen Ausdruck Tabu ohne Prüfung annehmen und daraus Folgerungen zu ziehen, ist etwas anderes. Wenn die Wissenschaft der Intuition folgt, so tritt die Prüfung an die Stelle der Autorität und die philosophische Methode an die Stelle der dogmatischen Methode; ein anderes Ziel erfordert eine andere Verfahrensweise und andere Verfahrensweisen geben dem Geist andere Gewohnheiten.

Es kann also kein Zweifel bestehen, dass die Einführung der Wissenschaft in die Seminare, das unausweichliche Ergebnis der Unterrichtsfreiheit, die Folge haben muss, in diesen Instituten auch die geistigen Gewohnheiten umzugestalten. Und das ist, wie ich überzeugt bin, die Morgenröte einer großen und wünschenswerten Revolution, derjenigen nämlich, welche die religiöse Einheit verwirklichen wird.

Ich sagte oben, dass der klassische Konventionalismus aus uns allen lebendige Widersprüche mache, Franzosen durch Notwendigkeit und Römer durch die Erziehung. Könnte man nicht auch sagen, dass wir in religiöser Beziehung lebendige Widersprüche sind?

Wir fühlen in unserem Herzen eine unwiderstehliche Macht, welche uns zur Religion drängt; und gleichzeitig fühlen wir in unserem Geist eine nicht weniger unwiderstehliche Kraft, welche uns von ihr entfernt, und um so mehr, das ist eine Tatsache, je gebildeter der Geist ist, so dass ein großer Lehrer sagen konnte: Litterati minus credunt.

Ach! dies ist eine traurige Erscheinung! Seit einiger Zeit besonders hören wir schweres Seufzen über die Abnahme des religiösen Glaubens, und merkwürdiger Weise sind selbst diejenigen, die in ihrer Seele sogar den letzten Funken des Glaubens haben erlöschen lassen, am meisten geneigt, den Zweifel frech zu finden … bei anderen. „Unterwirf Deine Vernunft, sagen sie dem Volk, sonst ist alles verloren. Es sagt mir zu, mich auf die meinige zu verlassen, denn sie ist von einem besonderen Schlage, und um die zehn Gebote zu befolgen, brauche ich sie nicht für offenbart zu halten. Selbst wenn ich etwas davon abwich, so ist das Übel nicht groß; aber bei Dir ist es anders, Du kannst sie nicht brechen, ohne die Gesellschaft in Gefahr zu bringen … und meine Ruhe.“

So sucht die Furcht ihre Zuflucht in der Heuchelei. Man glaubt nicht, aber man gibt sich den Anschein, zu glauben. Während der Skeptizismus zugrunde liegt, zeigt sich eine berechnende Religiosität an der Oberfläche, und das ist ein neuer Konventionalismus, und von der schlimmsten Art, der den menschlichen Geist entehrt.

Und doch ist nicht alles Heuchelei in dieser Sprache. Obgleich man nicht alles glaubt, obgleich man nichts erfüllt, gibt es im Grunde des Herzens, wie Lamennais sagt, eine Wurzel des Glaubens, die niemals vertrocknet.

Woher kommt diese seltsame und gefährliche Lage? Mag sie nicht daher kommen, dass sich den ursprünglichen und wesentlichen religiösen Wahrheiten, welcher alle Sekten und alle Schulen mit einer gemeinsamen Zustimmung beipflichten, mit der Zeit Institutionen, Übungen und Gebräuche beigesellt haben, welche der Verstand, so gern er es auch täte, nicht gelten lassen kann? Und haben diese menschlichen Zutaten im Geist der Klerus selbst irgendeine andere Stütze als den Dogmatismus, durch welchen er sie an die ursprünglichen, nicht bestrittenen, Wahrheiten anknüpft.

Die religiöse Einheit wird stattfinden, aber sie wird nur stattfinden, wenn jede Sekte diese parasitischen Institutionen, worauf ich hindeutete, aufgegeben haben wird. Man erinnere sich, dass Bossuet wenig Gewicht auf dieselben legte, als er mit Leibnitz über die Mittel, alle christlichen Konfessionen zur Einheit zurückzuführen, verhandelte. Würde das, was dem großen Lehrer des siebzehnten Jahrhunderts als möglich und gut erschien, von den Lehrern des neunzehnten für zu kühn erachtet werden? Wie dem auch sein mag, so wird die Freiheit des Unterrichts, indem sie andere geistige Gewohnheiten in den Klerus eindringen läßt, ohne Zweifel eins der mächtigsten Werkzeuge der großen religiösen Erneuerung sein, die künftighin allein die Gewissen befriedigen und die Gesellschaft retten kann.

Die Gesellschaften bedürfen der Moral so sehr, dass die Körperschaft, welche sich im Namen Gottes als ihre Inhaberin und Spenderin aufwirft, einen Einfluß ohne Grenzen auf dieselben erlangt. Nun zeigt die Erfahrung, dass nichts die Menschen mehr verdirbt, als der unumschränkte Einfluß. Es kommt also eine Zeit, wo, anstatt dass die Priesterschaft fortwährend nur das Werkzeug der Religion ist, die Religion das Werkzeug der Priesterschaft wird. Von diesem Augenblick an dringt ein unseliger Antagonismus in die Welt ein. Der Glauben und der Verstand, jeder für sich, ziehen alles an sich. Der Priester hört nicht auf, den heiligen Wahrheiten Irrtümer hinzuzufügen, die er für nicht weniger heilig erklärt, und bietet so dem Widerspruch des Laien immer stärkere Anlässe und immer ernstere Gründe dar. Der eine sucht dem Falschen mit dem Wahren Eingang zu verschaffen. Der andere erschüttert das Wahre mit dem Falschen. Die Religion wird Aberglaube und die Philosophie Unglaube. Zwischen diesen beiden Extremen schwankt das Maß des Zweifels, und die Menschheit geht sozusagen durch eine kritische Epoche. Inzwischen wird der Abgrund immer tiefer und der Kampf geht weiter, nicht allein eines Menschen gegen den anderen, sondern auch in dem Gewissen eines jeden Menschen mit verschiedenen Wechselfällen. Wenn eine politische Erschütterung die Gesellschaft in Schrecken gesetzt hat, so wirft sich diese aus Furcht auf die Seite des Glaubens; eine Art heuchlerische Religiosität kommt auf und der Priester hält sich für den Sieger. Aber die Ruhe hat sich kaum wieder gezeigt, der Priester hat kaum versucht, sich den Sieg zu Nutze zu machen, als der Verstand seine Rechte wieder geltend macht und sein Werk wieder anfängt. Wann wird nun diese Anarchie aufhören? Wann wird das Bündnis zwischen dem Verstand und des Glauben besiegelt werden?  —
Wenn der Glaube nicht mehr eine Waffe sein wird; wenn die Priesterschaft wieder, was sie sein soll, das Werkzeug der Religion geworden und die Formen welche ihr Vorteil bringen, gegen das Wesen, welches der Menschheit Vorteil bringt, aufgegeben haben wird. Dann kann man nicht bloß sagen, dass die Religion und die Philosophie Schwestern sind, man wird sagen müssen, dass sie zur Einheit zusammenfließen.

Doch ich steige aus diesen erhabenen Regionen herab und, wieder zu den Universitätsabschlüssen zurückkehrend, frage ich mich, ob der Klerus eine große Abneigung empfinden wird, die gewohnheitsmäßigen Bahnen des klassischen Unterrichts, eines Unterrichts, zu welchem er überdies keineswegs verpflichtet ist, aufzugeben.

Es wäre seltsam, wenn der platonische Kommunismus, das Heidentum, die durch die Sklaverei und das Raubsystem gebildeten Ideen und Sitten, die Oden des Horaz und die Metamorphosen des Ovid ihre letzten Verteidiger und Lehrer unter den Priestern Frankreichs fänden. Es ist nicht meine Sache, ihnen Ratschläge zu erteilen. Aber sie werden mir wohl erlauben, hier die Stelle aus einem Journal, welches wenn ich mich nicht täusche, von Geistlichen redigiert wird, anzuführen:

Wer sind denn, unter den Lehrern der Kirche, die Verteidiger des heidnischen Unterrichts? Ist es der heilige Clemens, welche geschrieben hat, dass die profane Wissenschaft Obst und Konfekt ist, die man nur zum Ende der Mahlzeit auftragen soll? Ist es Origines, welche er geschrieben hat, dass es in den vergoldeten Schalen der heidnischen Poesie tödliche Gifte gibt? Ist es Tertullian, welcher die heidnischen Philosophen die Patriarchen der Ketzer nennt: patriarchae heriticorum? Ist es der heilige Irenäus, welche erklärt, dass Plato das Salz aller Ketzereien gewesen sei? Ist es Lactantius, welcher bekundete, dass zu seiner Zeit die gelehrten Männer diejenigen waren, die den wenigsten Glauben hatten? Ist es der heilige Ambrosius, wenn er sagt, dass es sehr gefährlich für die Christen sei, sich mit der profanen Beredsamkeit zu beschäftigen? Ist es der heilige Hieronymus endlich, welcher in seinem Briefe an Eusochia, worin er mit Entschiedenheit das Studium der Heiden verdammte, sagte: Was gibt es Gemeinsames zwischen dem Licht und der Finsternis? Welcher Zusammenhang kann zwischen Christus und Belial bestehen? Was hat Horaz mit dem Psalter, Virgil mit dem Evangelium zu tun? …
Der heilige Hieronymus, welcher die Zeit, die er in seiner Jugend auf das Studium der heidnischen Wissenschaften verwendet hat, so schmerzlich bedauert: „Unglücklicher, der ich war, ich versagte mir die Nahrung, um ich vom Cicero nicht zu trennen; vom frühen Morgen an hatte ich den Plautus in Händen. Wenn ich zuweilen, wieder in mich gehend, mit dem Lesen der Propheten anfing, so erschien mir ihr Stil ungebildet, und weil ich blind war, so leugnete ich das Licht.“

Aber hören wir, was der heilige Augustin spricht:

Die Studien, durch welche ich dahin gelangte, die Schriften der anderen zu lesen und zu schreiben, was ich denke, waren doch viel nützlicher und viel solider, als diejenigen, denen obzuliegen man mich seitdem nötigte, welche die Abenteuer eines gewissen Äneas betrafen und welche mich über das Schicksal der aus Liebe sterbenden Dido weinen machten, während ich selbst, meine eigenen Fehler vergessend, den Tod in diesem unseligen Lesen entdeckte … Dennoch nennt man diese Torheiten die schönen und ehrenhaften Wissenschaften. Tales dementiae honestiores et uberiores litterae putantur … Mögen sie gegen mich schreien, diese Verkäufer der schönen Wissenschaften, ich fürchte sie nicht, und ich lasse mir angelegen sein, die schlechten Wege, denen ich gefolgt bin, zu verlassen … Zwar habe ich von diesem Studien viele Aussprüche, die zu wissen nützlich sind, empfangen, aber das alles kann auch anderswo als in diesen frivolen Schriften erlernt werden, und man sollte die Kinder auf einen weniger gefährlichen Weg führen. Aber o! verfluchter Strom der Gewohnheit, wer wagt es, sich Dir zu widersetzen!
Hat man nicht, um Deinem Lauf zu folgen, mich die Geschichte Jupiters lesen lassen, der zu gleicher Zeit den Blitz in Händen hat und den Ehebruch begeht? Man weiß wohl, dass das unvereinbar ist; aber mit Hilfe dieses falschen Donners vermindert man den Abscheu, welchen der Ehebruch einflößt und man veranlasst die jungen Leute, die Handlungen eines verbrecherischen Gottes nachzuahmen.

Und doch, o höllischer Strom, stürzt man alle Kinder in Deine Fluten, man macht aus diesem sträflichen Gebrauch eine große Angelegenheit. Dies geschieht öffentlich, unter den Augen der Obrigkeit, gegen einen bedungenen Lohn …
Das war der Wein des Irrtums, den uns in unserer Jugend trunkene Lehrer reichten; sie züchtigten uns, wenn wir uns weigerten, uns davon zu tränken und wir konnten von ihrem Urteil nicht Berufung einlegen auf irgendeinen anderen Richter, der nicht wie sie trunken war. So war meine Seele die Beute der unreinen Geister, denn es gibt nicht bloß eine Art, wie man den Teufeln opfert.

Diese so beredten Klagen, fügt das katholische Blatt hinzu, diese so bittere Kritik, dies so harten Vorwürfe, diese so rührende Reue, diese so treffenden Ratschläge, sind sie nicht ebenso an unser Jahrhundert gerichtet als an dasjenige, für welches der heilige Augustin schrieb? Behält man nicht unter dem Namen des klassischen Unterrichts dasselbe System der Studien bei, gegen welches der heilige Augustin sich mit solcher Kraft erhebt? Hat dieser Strom des Heidentums nicht die Welt überschwemmt? Stürzt man nicht jedes Jahr Tausende von Kindern in seine Fluten, die dort den Glauben, die Sitten, das Gefühl der menschlichen Würde, die Liebe der Freiheit, die Kenntnis ihrer Rechte und ihrer Pflichten verlieren, die aus denselben heraufsteigen ganz erfüllt von den falschen Ideen des Heidentums, von seiner falschen Moral, von seinen falschen Tugenden, so wie von seinen Lastern und von seiner tiefen Verachtung gegen die Menschheit?

Und diese schreckliche moralische Unordnung geht nicht aus einer Verkehrtheit individueller, ihrem freien Belieben überlassener Launen hervor. Nein, sie ist gesetzlich durch den Mechanismus der Universitätsabschlüsse auferlegt. Herr von Montalembert selbst, der nur bedauert, dass das Studium der antiken Wissenschaften nicht intensiv genug wäre, führte die Berichte der Inspektoren und Dekane der Fakultäten an. Einstimmig bekunden sie den Widerstand, ich möchte beinahe sagen, das Aufbegehren der öffentlichen Meinung gegen eine so unsinnige und verderbliche Tyrannei. Alle bekunden, dass die französische Jugend mit einer mathematischen Genauigkeit berechnet, was man in den Klassischen Studien von ihnen verlangt, und was man ihnen gestattet, nicht zu wissen, und dass sie genau bei der Grenze Halt macht, wo sie die Abschlüsse erlagen kann. Ist es ebenso in anderen Zweigen der menschlichen Wissens, oder ist es nicht ganz allgemein bekannt, dass auf zehn Zugelassene hundert Kandidaten kommen, die alle weiter sind, als die Eingangsvoraussetzungen fordern? Möge doch der Gesetzgeber die öffentliche Meinung und den Zeitgeist etwas berücksichtigen.

Ist es ein Barbar, ein Welscher, ein Gepide, der es hier wagt, das Wort zu nehmen? Missachtet er die außerordentliche Schönheit der vom Altertum hinterlassenen Denkmale oder die Dienste, welche die griechischen Demokratien der Sache der Zivilisation geleistet haben?

Nein, sicherlich nicht, er kann nicht oft genug wiederholen, dass er vom Gesetz nicht verlangt, sie zu ächten, sondern sie nicht zu ächten. Es lasse den Bürgern Freiheit. Sie werden schon verstehen, die Geschichte wieder in ihr wahres Licht zu setzen, das zu bewundern, was der Bewunderung würdig ist, das zu brandmarken, was Verachtung verdient, und sich von dem klassischen Konventionalismus, dieser verderblichen Seuche der modernen Gesellschaften, freizumachen. Unter dem Einfluß der Freiheit werden die Naturwissenschaften und die profanen Wissenschaften, das Christentum und das Heidentum schon wissen, sich in der Erziehung den rechten gebührenden Anteil zu verschaffen, und so wird sich zwischen Ideen, Sitten und Interessen Harmonie einstellen, die für Gewissen wie für die Gesellschaft, Bedingung der Ordnung ist.

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