Der Steuereintreiber

Herr Kerbholz1: Steuereintreiber
Hans Biedermann: Weinbauer


K: Sie haben zwanzig Fass Wein geerntet?

H: Ja, mit Müh und Schweiß.

K: So bitt ich mir sechs der besten aus.

H: Sechs von zwanzig! Güte des Himmels! Sie wollen mich ruinieren. Und, wenn ich bitten darf, wozu wollen Sie sie denn verwenden?

K: Das erste Fass ist für die Staatsgläubiger bestimmt. Wenn man Schulden hat, so muss man mindestens die Zinsen zahlen.

H: Und wo ist denn das Kapital geblieben?

K: Das würde zu weit führen. Ein Teil wurde einst auf Patronen verwandt, die den schönsten Rauch der Welt machten. Mit einem anderen Teil wurden Menschen besoldet, die sich auf fremder Erde zum Krüppel haben schießen lassen, nachdem sie sie verwüstet hatten. Nachdem diese letzteren Ausgaben uns unsere lieben Feinde auf den Hals gehetzt haben, wollten diese ohne Geld nicht wieder abziehen, das man dann leihen musste.

H: Und was kommt für mich heute dabei heraus?

K: Die Befriedigung zu sagen:

Wie bin ich stolz, ein Franzose zu sein
Wenn ich auf unsere Armee schaue.

H: Und die Demütigung, meinen Erben ein Stück Land zu hinterlassen, das mit einer ewigen Grundschuld belastet ist. Naja, man muss wohl bezahlen, was man schuldet, welchen verrückten Gebrauch man auch davon gemacht hat. Für ein Fass mag es angehen, aber die fünf anderen?

K: Eines ist nötig, um den öffentlichen Dienst zu bezahlen, die Staatsregierung, die Richter, die Ihnen die Grenzfurchen garantieren, welche Ihr Nachbar sich aneignen will, die Gendarmen, die die Diebe jagen, während Sie schlafen, den Straßendienst, welcher den Weg unterhält, der Sie zur Stadt führt, den Priester, der Ihre Kinder tauft, den Lehrer, der sie erzieht, und Ihren gehorsamen Diener, der nicht umsonst arbeitet.

H: Nun, das lässt sich doch hören, Dienst um Gegendienst. Dagegen kann man nichts sagen. Allerdings würde ich mich gerne mit dem Priester und dem Schullehrer direkt einigen; doch ich will nicht darauf bestehen, darum mag es angehen für das zweite Fass! Es ist noch weit bis sechs.

K: Halten Sie zwei Fässer für zu viel als Ihren Beitrag zur Erhaltung der Armee und der Flotte?

H: Ach! Es ist wenig im Vergleich zu dem, was sie mich bereits kosteten, denn sie haben mir zwei Söhne geraubt, die ich sehr lieb hatte.

K: Man muss doch das europäische Gleichgewicht erhalten.

H: Ach mein Gott! Das Gleichgewicht würde genauso sein, wenn man diese Kräfte überall um die Hälfte oder Dreiviertel reduzierte. Wir würden unsere Kinder und unsere Einkünfte behalten. Man muss sich nur verständigen.

K: Ja! Aber man verständigt sich nun mal nicht.

H: Das ist’s ja, was mich untröstlich macht, denn schließlich leidet jeder darunter.

K: Du hast es gewollt, Hans Biedermann!2

H: Sie spaßen, Herr Steuereintreiber, habe ich etwa Sitz und Stimme?

K: Wen haben Sie zum Abgeordneten gewählt?

H: Einen tapferen General, der in Kürze Marschall sein wird, so Gott will.

K: Und wovon lebt denn der tapfere General?

H: Von meinen Fässern, kommt mir vor.

K: Und was würde aus ihm werden, wenn er für die Reduktion der Armee und Ihrer Beiträge stimmte?

H: Anstatt ihn zum Marschall zu befördern, würde man ihn pensionieren.

K: Begreifen Sie jetzt, dass Sie selbst…

H: Bitte — reden wir von dem fünften Fass!

K: Dasselbe wird nach Algerien gesandt.

H: Nach Algerien! Und man versichert doch, alle Moslems seien oinophob — diese Barbaren! Ich habe mich sogar oft gefragt, ob sie den Medoc nicht kennen, weil sie ungläubig sind, oder — was wahrscheinlicher ist — ob sie ungläubig sind, weil sie den Medoc nicht kennen. Übrigens, welchen Dienst leisten sie uns für diesen Göttertrank, der mich soviel Arbeit gekostet hat?

K: Keinen. Der Wein ist auch gar nicht für die Moslems bestimmt, sondern für gute Christen, die täglich in die Barbarei ziehen.

H: Und was tun sie dort, was mir nützlich wäre?

K: Überfälle ausführen und überfallen werden, töten und getötet werden, sich Durchfall zuziehen und zurückkehren, um sich behandeln zu lassen, Häfen ausheben, Straßen anlegen, Dörfer bauen und sie mit Maltesern, Italienern, Spaniern und Schweizern bevölkern, die alle auf Kosten Ihres Fasses Wein leben und von manch anderen Fässern, die ich Ihnen noch abfordern werde.

H: Barmherzigkeit! Das ist zu stark, ich verweigere Ihnen gerade heraus mein Fass. Einen Weinbauer, der solche Torheiten beginge, würde man ins Irrenhaus schicken. Landstraßen in den Atlas einhauen, großer Gott, während ich nicht vor die Tür gehen kann. In der Barbarei Häfen anlegen, während die Garonne täglich mehr versandet. Mir meine geliebten Kinder wegnehmen, um die Kabylen zu plagen. Mich die Häuser, Sämereien und Pferde bezahlen lassen, die man Griechen und Maltesern liefert, während bei uns soviel Arme sind!

K: Arme! Man befreit gerade das Land von diesem zu viel.

H: Vielen Dank! Indem man ihnen das Kapital nach Algerien nachschickt, von dem sie ebensogut hier leben könnten.

K: Sie legen dadurch den Grund zu einem großen Reich, Sie tragen die Zivilisation nach Afrika und schmücken Ihr Vaterland mit unsterblichem Ruhm.

H: Sie sind ein Poet, Herr Steuereintreiber, aber ich bin ein Weinbauer und ich verweigere.

K: Bedenken Sie, dass Sie in etwa tausend Jahren Ihren Vorschuss hundertfach zurückempfangen. So sagen jedenfalls die, die das Unternehmen leiten.

H: Währenddessen haben sie, um die Kosten zu decken, anfangs nur ein Fuder Wein von mir verlangt, dann zwei, dann drei, bis ich endlich eine ganzes Fass geben soll. Ich beharre auf meiner Weigerung.

K: Es ist zu spät. Ihr Bevollmächtigter hat für Sie die Steuer auf ein Fass oder vier volle Fuder festgesetzt.

H: Leider nur zu wahr! Verdammte Schwäche! Als ich ihn wählte, dachte ich gleich, dass ich eine Torheit begehe. Was hat ein General mit einem armen Weinbauern gemein?

K: Sie sehen wohl, dass er etwas mit Ihnen gemein hat, und sei es auch nur der Wein, den Sie ernten, und den er in Ihrem Namen sich selbst zuspricht.

H: Lachen Sie mich aus, ich verdiene es, Herr Steuereinnehmer. Aber seien Sie doch vernünftig, lassen Sie mir wenigstens das sechste Fass. Die Zinsen der Staatsschulden sind bezahlt, für die Staatsregierung ist gesorgt, der öffentliche Dienst gesichert, der Krieg in Afrika verlängert. Was wollen Sie noch?

K: Mit mir kann man nicht handeln. Sie hätten Ihre Meinung dem General sagen sollen. Jetzt hat er über Ihre Ernte verfügt.

H: Verdammter Brummbär! Aber, was wollen Sie denn mit diesem armen Fass machen — der Blume meines Kellers? Halt, probieren Sie diesen Wein. Wie er weich, kräftig, voll, mild, ausgebaut ist!

K: Ausgezeichnet! Köstlich! Er wird dem Tuch-Fabrikanten D. vortreffliche Dienste leisten.

H: Dem Herrn D. – dem Fabrikanten? Was meinen Sie?

K: Er wird guten Nutzen daraus ziehen.

H: Wie? Was? Teufel — wenn ich Sie richtig verstehe.

K: Wissen Sie nicht, dass Herr D. eine prachtvolle Unternehmung gegründet hat, die dem Lande sehr nützlich ist, und die — alles gerechnet — jährlich einen bedeutenden Verlust ausweist?

H: Ich bedaure ihn von ganzer Seele — aber was kann ich dafür?

K: Das Parlament ist zu der Einsicht gelangt, dass, wenn es so weiter geht, Herr D. vor der Wahl stünde, entweder besser zu wirtschaften oder seine Fabrik zu schließen.

H: Aber was haben die falschen Spekulationen des Herrn D. mit meinem Wein zu tun?

K: Das Parlament ist zu der Einsicht gelangt, wenn sie Herrn D. etwas Wein aus Ihrem Keller, einige Zentner Getreide aus den Scheunen Ihrer Nachbarn, einige Sous vom Lohn der Arbeiter zukommen ließe, so würde sein Verlust sich in Gewinn verwandeln.

H: Die Einnahme ist ebenso unfehlbar wie zweckmäßig. Aber zum Teufel, sie ist verdammt ungerecht. Wie! Herr D. deckt seinen Verlust mit meinem Wein?

K: Nicht gerade mit Ihrem Wein, aber mit dem Preis dafür. Das nennt man Förderungsprämien. Aber Sie sind ja ganz sprachlos? Erkennen Sie denn nicht den großen Dienst, den Sie dem Vaterland dadurch leisten?

H: Sie meinen — dem Herrn D.

K: Dem Vaterlande. Herr D. beteuert, dass seine Industrie dank dieser Einrichtung aufblühe und dass auf diese Weise das Land reicher wird. Noch dieser Tage hat er das im Parlament wiederholt, in dem er Mitglied ist.

H: Eine einmalige Gaunerei ist das. Wie! Ein Lump macht eine dumme Unternehmung auf, vertut sein Kapital, und wenn er mir genug Wein oder Getreide abgepresst hat, um seinen Verlust zu decken und sich sogar Profit zu verschaffen, so sieht man darin einen allgemeinen Gewinn!

K: Da Ihr Bevollmächtigter es so ansieht, bleibt Ihnen nichts übrig, als mir die sechs Fass Wein auszuliefern und die übrigen vierzehn Fass, die ich Ihnen lasse, bestmöglich zu verkaufen.

H: Das ist meine Sache.

K: Ich meine nur, sehen sie, dass es doch sehr ärgerlich wäre, wenn Sie nicht einen hohen Preis dafür einnähmen.

H: Dafür werde ich schon sorgen.

K: Denn es muss noch vieles mit diesem Preis bestritten werden.

H: Ich weiß, mein Herr, ich weiß.

K: Wenn Sie nämlich Eisen kaufen, um Spaten und Pflug zu erneuern, so bestimmt ein Gesetz, dass Sie dem Schmiedemeister doppelt soviel zahlen wie es wert ist.

H: Ja so, sind wir hier im Schwarzwald?

K: Außerdem, wenn Sie Öl, Fleisch, Tuch, Kohlen, Wolle, Zucker brauchen, kostet alles laut Gesetz das Doppelte von dem, was es wert ist.

H: Aber das ist schrecklich, abscheulich, widerwärtig!

K: Wozu die Klagen? Sie selbst durch Ihren Abgeordneten

H: Lassen Sie mich zufrieden mit meiner Vertretung. Ich habe sie sonderbar gewählt, das stimmt; aber man wird mich dabei nicht nochmal ertappen, und ich werde mich von guter und ehrlicher Bauernschaft vertreten lassen.

K: Ach was! Sie werden den tapferen General wieder wählen!

H: Ich, ich werde den General wieder wählen, um meinen Wein an Afrikaner und Fabrikanten verteilen zu lassen?

K: Sie werden ihn doch wieder wählen, ich sage es Ihnen!

H: Das ist ein bisschen stark. Ich werde ihn nicht wieder wählen, wenn ich nicht will.

K: Aber sie wollen, und Sie werden ihn wiederwählen.

H: Der soll nur kommen! Er wird schon merken, mit wem er es zu tun hat.

K: Wir werden ja sehen. Adieu! Ich nehme Ihre sechs Fass mit und werde sie verteilen, wie der General angeordnet hat.

  1. Im Original heißt er Lasouche, einerseits das Kerbholz zum Anschreiben der Schulden andererseits eine Figur aus Molière, Die Schule der Frauen: Sie geht am Ende leer aus. []
  2. „Du hast es gewollt, George Dandin“, gängiges Zitat aus Molière, George Dandin: Ein reicher Bauer heiratet zu seinem Unglück eine Adlige, die ihn betrügt und erniedrigt. (Die Übersetzer) []

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